Emma
Film-Kritik von Kirsten Kohlbrei / Titel-Motiv: © Box Hill Films / Focus Features
Eine gelungene Austen-Adaption- etwas schräg und zeitlos zeitgemäß
Seit Jane Austen in den neunziger Jahren verstärkt in den Fokus der Filmschaffenden geraten ist, kommen in regelmäßigen Abständen Verfilmungen ihrer Gesellschaftsromane auf die große Leinwand. Vor allem für ihre Fans heißt es dann, die Lektüre beiseitezulegen, Miss Bennet und Mr. Darcy, die Dashwood-Schwestern oder Fanny Price ein wenig zwischen den Buchdeckeln ausharren zu lassen, und stattdessen baldmöglichst ins nächste Kino zu gehen.
Im Frühjahr ist nun mit „Emma.“ eine neue Adaption eines der Spätwerke der bedeutenden englischen Schriftstellerin in Deutschland angelaufen. Setting der Handlung ist - wie stets bei Austen - das ländliche England mit den Vertretern der „Gentry“, der Schicht des Landadels. Doch anders als die Heldinnen der frühen Romane ist die titelgebende Hauptfigur Emma Woodhouse von Haus aus wohlhabend und nicht auf eine standesgemäße Hochzeit angewiesen, um eine annehmbare gesellschaftliche Stellung zu erreichen. Der Reifungsprozess, den sie im Verlauf der Handlung erfährt, lässt sie am Ende jedoch trotzdem ihr persönliches Eheglück finden.
Auf dem Weg dorthin nutzt sie ihre Intelligenz, dabei ist ihr Aus- und ihr Ansehen zunächst derart verfehlt, dass sie mit ihrer selbstzufriedenen Art in ihrem Umfeld eine ganze Menge Unheil anrichtet. Selbst Jane Austen soll vorhergesagt haben: „Ich werde eine Heldin schaffen, die keiner außer mir besonders mögen wird.“ Ob dem so ist, können die Zuschauer nun aufs Neue selbst entscheiden.
Eine Protagonistin, die fast immer weiß, was sie will
Emma (Anya Taylor-Joy, „The Witch“) ist 21 Jahre alt, „schön, klug und reich“. Nach dem Tod der Mutter und der Heirat ihrer älteren Schwester lebt sie allein mit ihrem Vater (Bill Nighy) zusammen auf dem Landsitz Hartfield in Highbury, einem Dorf nicht weit von London. Die Handlung setzt ein mit der Hochzeit ihrer langjährigen Gouvernante Miss Taylor (Gemma Whelan) mit Mr. Weston (Rupert Graves), einem wohlhabenden Kaufmann. Schon die Auftaktszene, in der Emma sich wählerisch von einem Dienstboten den Brautstrauß zusammenstellen lässt, vermittelt einen ersten Eindruck davon, dass sie verwöhnt und bestimmend und trotz ihrer goldenen Locken beileibe kein harmloses Engelchen ist, sondern genaueste Vorstellung davon hat, wie die Dinge zu laufen haben.
Da Emma der festen Überzeugung ist, nicht unwesentlich an der Ehestiftung ihrer Erzieherin beteiligt gewesen zu sein, sucht sie sich mit der unehelich geborenen Harriet Smith (Mia Goth), einer Schülerin eines im Dorf ansässigen Mädchenpensionats, die nächste Heiratskandidatin, der es gilt, eine gesicherte Zukunft zu verschaffen. Als zukünftigen Ehemann ihrer neuen Freundin wählt sie den Vikar Mr. Elton (Josh O' Connor).
Dating in Kreisen des englischen Landadels
Ihre Bemühungen stoßen bei dem Schwager ihrer Schwester sowie Freund und Nachbar der Woodhouses, Mr. Knightly (Johnny Flynn), auf wenig Begeisterung - besonders als Emma Harriet rät, den Heiratsantrag eines Pächters Knightlys abzulehnen, weil er gesellschaftlich nichts zu bieten hat.
Das Vermählungsvorhaben scheitert kläglich, als Mr. Elton bei einer Kutschfahrt Emma seine Liebe gesteht, die ihn entsetzt zurückweist und beschließt, ihre Rolle als Ehevermittlerin aufzugeben. Doch die Geister, die sie rief, wird sie nun nicht mehr los. Mit Frank Churchill (Callum Turner), dem Sohn von Mr. Weston, der von seinem kinderlosen Onkel als Erbe adoptiert wurde, erscheint in Highbury ein weiterer Heiratskandidat auf der Bildfläche und das Verkupplungskarussel nimmt Fahrt auf - mittendrin Emma, die wahrlich für sich selbst nicht ans Heiraten gedacht hat, aber nun feststellt, dass das Liebesglück immer schon direkt vor ihren Augen lag.
Kostümfilm im neuen Gewand
Regisseurin Autumn de Wilde nimmt sich in ihrem Regiedebüt gut zwei Stunden Zeit, um ihre Version der von Austen erdachten Irrungen und Wirrungen der Gefühle zu erzählen, die sich, bis die füreinander bestimmten Liebenden schließlich zueinander gefunden haben, in Echtzeit über den Zeitraum von etwa einem Jahr erstrecken - im Film tableauartig durch den Verlauf der Jahreszeiten dargestellt. Ihre Textnähe demonstriert de Wilde direkt zu Beginn, indem sie die Anfangszeilen des Romans zitiert, um dann mit Augenzwinkern temporeich und äußerst amüsant unter Beweis zu stellen, dass der zeitlose Klassiker auch in Tagen von Dating-Plattformen und Social Media nichts an Reiz verloren hat. Die Achtsamkeit im Umgang mit dem eigenen Empfinden und der Respekt vor den Gefühlen anderer ist unabdingbar, im 19. Jahrhundert genauso wie heute.
Wunderbar schräg konterkariert ihre Fassung eine Umsetzung im Genre des Kostümfilms, indem sie zwar auf äußerste Authentizität bedacht Schauplätze, Ausstattung sowie Garderobe auswählt, diese dann in der Darstellung aber häufig überzeichnet verwendet - wobei sie jedoch immer so genau dosiert, dass das „too much“ nicht in die Persiflage abrutscht. So warten die Damen in gewagten Kleiderkreationen und stylishen Hauben im zeitgenössischen Stil auf, die herrschaftlichen Landsitze bieten feinstes Interieur und zur Teatime biegen sich die Tische unter Bergen von Gebäck und Torten in Pastelltönen.
Schauspielriege mit toller Arbeit bis in die Nebenrollen
Auch die durchweg treffende Rollenbesetzung überzeugt: Anya Taylor-Joy verkörpert absolut passend eine Emma, die viel tougher daherkommt als noch Gywneth Paltrow in der letzten populären Verfilmung aus den Neunzigern. Gewohnt stets im Mittelpunkt zu stehen, ist sie der Fixstern in ihrem eigenen Universum und agiert dementsprechend in völliger Selbstüberzeugung. Ihr Handeln ist zwar nicht nur auf den eigenen Vorteil ausgerichtet (Emma hat den ehrlichen Anspruch, hilfreich zu sein), trotzdem ist ihr Vorgehen so Ich-bezogen, dass die Vorstellungen anderer chancenlos bleiben - besonders wenn sie Situationen völlig falsch einschätzt und unüberlegt handelt. Leidtragende ist vor allem Harriet, herrlich dargestellt von Mia Goth, der es famos gelingt, ihre Rolle punktgenau auf dem schmalen Grat zwischen Naivität und Einfältigkeit anzusiedeln. Strahlend wie ein Honigkuchenpferd trippelt sie liebenswürdig unbeholfen durch die englische Landschaft und weckt tiefste Sympathie.
Im Gegenteil dazu gelingt Josh O' Connor mit einem ewigen Grinsen ein eher schrecklich sympathischer Vikar. Johnny Flynn gibt glaubhaft den unangepassten Individualisten, der sich keiner Etikette unterwirft und Emmas Verhalten immer wieder hinterfragt. Letztlich liefert er mit seiner Zurechtweisung nach Emmas scharfzüngigen und taktlosen Äußerungen bei einem Picknick mit dem dörflichen Freundeskreis auch erfolgreich den Anstoß zu ihrer Läuterung. Indem Emma lernt, eigene Schwächen einzugestehen und die Ansprüche an sich herunterschraubt, reduziert sich ihre Arroganz merklich.
Weiterhin noch besonders hervorzuheben sei Bill Nighy, der mit seiner Hypochondrie die Lacher auf seiner Seite hat, sich dabei aber gleichzeitig trotz aller Freundlichkeit durch das Verhältnis zu seiner Dienerschaft als Vertreter einer Klassengesellschaft zeigt.
Hier schimmert unter de Wildes Regieführung feinfühlig Austens gutes Gespür durch, mit der die Autorin gesellschaftliche Vorgaben ihrer Zeit karikiert und auf diese Weise ihre Berechtigung subtil hinterfragt. Die verarmte Mrs. Bates etwa, die sich krampfhaft bemüht, durch leutselige Loyalität ihren Platz in der Gesellschaft des Dorfes zu bewahren und ihre Nichte Jane Firefax lassen die klassische weibliche Rolle der Zeit lebendig werden. Jane, gebildet, hübsch und perfekt in ihrem Auftreten, gelingt es nur, sich aus ihrer sozialen Abhängigkeit zu lösen, indem sie gut unter die Haube kommt. Ein Schicksal ähnlich wie das von Harriet, die nach Umwegen doch noch ihren Mann fürs Leben findet, erhoffen sich mit Bestimmtheit auch ihre Mitschülerinnen, die mit ihren Capes ebenfalls urkomisch wie eine aufgeregte Kükenschar im Gefolge ihrer Leiterin immer wieder die Wege der Hauptfiguren kreuzen.
Abgerundet werden die bildgewaltigen Szenen und gescheiten Dialoge durch eine gelungene Musikauswahl, eine einvernehmliche Mischung aus Klassik und modernen Songs.
Fazit:
Mit Autumn de Wildes Film ist Jane Austens Emma fulminant im 21. Jahrhundert angekommen. Das Erstlingswerk der Regisseurin hält manche Überraschung parat und ohne sich zu verbiegen, präsentiert sich der Klassiker mit aufgehübschter Protagonistin dabei so peppig und rasant, dass jeglicher Staub der Jahrhunderte verfliegt. Die gesunde Mischung aus Herz-Schmerz, Situationskomik und Gesellschaftsbild, dargeboten in überschäumender Ausstattung, verspricht absolut sehenswerte Unterhaltung. De Wilde legt damit die Latte für folgende Austen-Adaptionen nicht nur sehr hoch, sondern macht auch neugierig auf ihre eigene nächste Arbeit.
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