Mechtild Borrmann

04.2021 Sandra Dickhaus im Gespräch mit Mechtild Borrmann, Autorin von "Glück hat einen langsamen Takt".

"Wenn die Geschichte zu Ende erzählt ist, ist es mindestens so wichtig, sich von den Figuren zu verabschieden!"

Belletristik-Couch.de:
Dies ist Ihre erste Kurzgeschichtensammlung, vorher haben sie Kriminalromane und vereinzelte Erzählungen veröffentlicht. In welchem Zeitraum sind die Geschichten entstanden, und was hat sie dazu inspiriert?

Mechtild Borrmann:
Die Geschichten sind über mehrere Jahre und aus unterschiedlichsten Gründen entstanden. Das kann eine Figur aus einem ersten Romanentwurf sein, die dann - weil der Plot sich anders entwickelt hat – rausgefallen ist. Andere Geschichten beruhen auf Beobachtungen im Alltag - ein Mensch oder eine kleine Szene, die mir auffällt. Das kann eine Mutter mit ihrem Kind in einem Supermarkt sein, eine Auseinandersetzung an einem Bankschalter, ein streitendes Ehepaar in einem Auto usw. Meine ersten Schreibversuche waren Kurzgeschichten, und die Form gefällt mir bis heute. Sie fordert das stringente und schlüssige Erzählen einer komplexen Geschichte auf wenigen Seiten. Das war und ist die perfekte Übung für das Schreiben von Romanen. Man lernt, jedes Abschweifen zu vermeiden und keine Nebenschauplätze zu eröffnen.

Belletristik-Couch.de:
Ursprünglich haben Sie ja einen anderen Beruf erlernt und in den unterschiedlichsten Bereichen gearbeitet. War das Schreiben schon immer eine Leidenschaft von Ihnen und das Veröffentlichen eines Buches ein Traum?

Mechtild Borrmann:
Ich komme ursprünglich aus der Pädagogik und habe dort in unterschiedlichen Einrichtungen gearbeitet. Dann habe ich eine Zeit auf Korsika gelebt und danach in der Bielefelder Altstadt ein Restaurant übernommen. Und nein – ich habe mich nicht schon immer als Schriftstellerin gesehen. Mit dem Schreiben begonnen habe ich auf Korsika. Es waren zunächst kurze Erzählungen. Erst nach dem ersten veröffentlichten Roman habe ich mir erlaubt, die Worte: „Schreiben“ und „Beruf“ zusammen zu denken.

Belletristik-Couch:
Wie gestaltete sich die Suche nach einem passenden Verlag für Sie?

Mechtild Borrmann:
Ich hatte sehr großes Glück! Meinen ersten Roman habe ich an fünf Verlage verschickt, und zwar völlig unprofessionell. Wenn ich heute lese, wie man das machen muss - wie lang ein Exposé sein sollte, wieviele Seiten eine Leseprobe haben darf usw. - dann bin ich im Rückblick sehr dankbar, dass sich überhaupt jemand mit meiner Einsendung beschäftigt hat. Auf der anderen Seite: Alle fünf Verlage haben eine ausführliche Rückmeldung geschickt. Vielleicht ist es gelegentlich ganz gut, sich nicht an Vorgaben zu halten :-).

Belletristik-Couch.de:
Wie viel Mechtild Borrmann steckt in Ihren Erzählungen?

Mechtild Borrmann:
Ich glaube, dass mein Menschenbild und mein Blick auf die Welt sich in meinen Texten widerspiegeln. Ich schreibe meinen Protagonisten Charaktereigenschaften und eine Haltung zum Leben zu, und ich versuche mich in sie hineinzuversetzen. Als Autor – davon bin ich fest überzeugt – kann man ohne Empathie für seine Figuren auch den Leser emotional nicht erreichen. Allerdings: Wenn die Geschichte zu Ende erzählt ist, ist es mindestens so wichtig, sich von den Figuren zu verabschieden!

Belletristik-Couch.de:
Verselbstständigen sich Ihre Figuren beim Schreiben und führen ein Eigenleben, oder haben Sie vor dem eigentlichen Schreibprozess schon eine genaue Vorstellung, was im Detail geschehen wird?

Mechtild Borrmann:
Bei kürzeren Texten arbeite ich die Figuren aus (Erscheinung/Charakter/Herkunft usw.) und stelle sie in eine bestimmte Situation. Wie die Geschichte sich entwickelt und ausgeht, weiß ich erst im Laufe des Schreibprozesses. Bei Romanen gehe ich anders vor, da schreibe ich zunächst ein Exposé, einen Kapitelplan und für die wichtigsten Protagonisten einen Lebenslauf. Dann fange ich an zu schreiben, und spätestens ab dem vierten oder fünften Kapitel läuft mir mindestens eine Figur aus dem Ruder und geht ihre eigenen Wege. Ich habe noch nie den Roman geschrieben, den ich im Vorfeld geplant habe.

Belletristik-Couch.de:
Wie würden Sie Ihren Schreibstil beschreiben?

Mechtild Borrmann:
Meine Art zu erzählen würde ich „konsequente Reduktion“ nennen. Ich versuche eine komplexe Geschichte – auch mit mehreren Handlungssträngen – ohne Umwege schlüssig zu erzählen und den Leser emotional mitzunehmen. Ob Kurzgeschichten oder Romane, sie entstehen durch ständiges Überarbeiten, und das heißt bei mir: streichen, streichen, streichen – solange bis alle Füllworte, Füllsätze und Nebenschauplätze entfernt sind und die Sprache einen Rhythmus und Lesefluss hat.

Das Interview führte Sandra Dickhaus im April 2021.
Foto: © Thomas Gebauer

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