Joan Weng

06.2019 Kirsten Kohlbrei im Gespräch mit Joan Weng, Autorin von "Die Frauen vom Savignyplatz".

Mir macht es einfach großen Spaß, Personen und teilweise Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.

Belletristik-Couch.de:
Sie haben über die Literatur der Weimarer Republik promoviert und „Die Frauen vom Savignyplatz“ ist schon Ihr viertes bei ATB erschienenes Buch, das in dieser Zeit spielt. Woher rührt Ihr Interesse an dieser Epoche?

Joan Weng:
Das ist tatsächlich schon in der Schule geweckt worden - unser Deutschlehrer hat die Expressionisten unheimlich toll vermittelt, außerdem war zu meiner Zeit „Berlin Alexanderplatz“ Abiturstoff. Im Studium hab ich mich dann aber endgültig in die Epoche verliebt, weil sie so modern ist und gleichzeitig so knapp vor der Katastrophe steht. Ich denke, es ist auch das Wechselhafte, die sozialen Gegensätze, die die Epoche für uns Autoren so reizvoll macht.

Belletristik-Couch.de:
Die Protagonistin Vicky arbeitet in der elterlichen Metzgerei, bewegt sich aber auch in gehobeneren Kreisen der Gesellschaft. Waren die Goldenen Zwanziger Jahre mit dem Nimbus des Mondänen auf diese Schichten beschränkt oder spielten sie auch im Leben der einfachen Bevölkerung eine Rolle?

Joan Weng:
Die Zwanziger Jahre waren – zumindest der These meiner Promotion zur Folge ;-) – die erste Zeit überhaupt, in der das „Mondäne“ plötzlich für jedermann, oder eher jede Frau zugänglich, weil käuflich war. Jedes Tippfräulein konnte sich eine Dose Niveacreme und einen Lippenstift leisten, dazu der Bubikopf, ein Paar Strümpfe – notfalls auch aus Kunstseide – und schon konnte frau sich als Teil der Schickeria fühlen. Das war nie zuvor möglich. Irmgard Keun hat in ihrem wundervollen Roman „Das kunstseidene Mädchen“ auf einmalige Weise die Gefahren dieser Verheißung aufgezeigt. Und Selinko in „Ich war ein hässliches Mädchen“ sehr amüsant und nicht ganz ernst gemeint von der Gattenjagd mittels dieser Attribute erzählt.

Belletristik-Couch.de:
Ihr Roman gibt die Stimmung, den Zeitgeist dieser Jahre in Berlin sehr authentisch wieder. Dabei achten sie auf Details und legen das Augenmerk auch auf die zeitgenössische Sprache mit  Ausdrücken wie etwa „katastrofürchterlich.“ Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Joan Weng:
Das kam durch die intensive Beschäftigung mit der Sprache der Epoche, gerade Keun, Kisch oder auch Roth sind da herrliche Fundgruben von Redewendungen der Zeit. Mein Favorit ist „im Fulldress sein“ – ich wüsste immer zu gern, wie die das damals ausgesprochen haben. Das klang bestimmt manchmal lustig, Englisch war ja noch nicht so verbreitet in Deutschland.

Belletristik-Couch.de:
Neben den Gesellschaftsromanen  finden sich auch Krimis unter Ihren Büchern. Unterscheidet sich das Schreiben für Sie beim Wechsel des Genres? Gibt es da eine Vorliebe?

Joan Weng:
Meine Vorliebe gilt den Schicksalen meiner Figuren, die habe ich eigentlich alle gern, so gern, dass ich manchmal – wenn ich voll im Schaffensmodus bin – im Supermarkt denke: „Oh, das nimmst du Vicky mit. Die isst doch so gern Konfekt.“ Krimi schreibt sich für mich grundsätzlich ein bisschen leichter weil das Handlungskonzept ja immer dasselbe ist, Tat, Aufklärung, Schluss. Und wenn es langweilig zu werden droht, bringt man einfach einen um, schon ist was los. Nein, im Ernst, ich schreibe beides sehr gern.

Belletristik-Couch.de:
Die Figuren in Ihren Geschichten stehen zum Teil in lockerem Zusammenhang und tauchen in den Büchern übergreifend auf. War das so von Anfang an geplant oder haben sich diese Verbindungen erst beim Schreiben ergeben?

Joan Weng:
Sagen wir so, ich wusste es von Anfang an, mein Verlag hat es erst nach und nach erfahren ;-) Mir macht es einfach großen Spaß, Personen und teilweise Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Immer wieder schön finde ich zum Beispiel, dass in „die Frauen vom Savignyplatz“ Vicky den Mann ihrer Freundin Fritzi als viel zu dürr empfindet, während Fritzi über Vickys Mann in „Das Café unter den Linden“ philosophiert, der könnte ruhig auch mal abnehmen. Oder wenn die Protagonisten im „Café unter den Linden“ über den Juwelier Sawicki denken, das nimmt kein gutes Ende und in „Noble Gesellschaft“ kommt das böse Ende dann tatsächlich.

Belletristik-Couch.de:
Vicky ist fünffache Mutter und Hausfrau, gleichzeitig versucht sie sich als selbständige Besitzerin einer Buchhandlung. Wie würden sie ihre Rolle als Frau ihrer Zeit charakterisieren?

Joan Weng:
Die Norm waren Frauen wie Vicky natürlich nicht – aber solche Frauen gab es damals erstmals verstärkt. Mir fällt da als erstes immer Vicki Baum ein: Bestsellerautorin, Ehefrau, Mutter, Harfinistin und Boxerin. Das ist doch mal ein Pensum!

Belletristik-Couch.de:
Ihr Mann Willi zeigt sich als liebevoller und aufopfernder Vater, der auch bei der Betreuung und der Versorgung Kinder aktiv mithilft. Ein Verhalten, das man von Männern in diesen Jahren nicht unbedingt erwarten würde. Ist er eine Ausnahme oder werden die Väter dieser Generation unterschätzt?

Joan Weng:
Ich würde sagen, grundsätzlich hat die Mehrheit der Väter sich damals tatsächlich – wie Vicky es formuliert –„ aufs Machen und Verdreschen“ beschränkt, aber es war auch eine Zeit in der Männer angefangen haben, sich ganz bewusst mit ihrer Vaterrolle auseinanderzusetzen und sich massiv einzubringen versuchten. Meines Wissens nach ist zu der Zeit erstmals darüber diskutiert worden, ob es für die männliche Bindung zu Kind und Mutter wichtig ist, wenn der Vater bei der Geburt dabei ist. Auch Erziehungskonzepte wie Waldorf, Montessori oder Unterricht im Freien – gezielt wegen der Frischlufterfahrung, nicht aus Notwendigkeit – sind damals aufgekommen und die verlangen natürlich auch eine starke Einbindung des Vaters. Leider sind in den zwei darauffolgenden Jahrzehnten viele gute Ansätze dann erst mal wieder verloren gegangen.

Belletristik-Couch.de:
In ihrer Buchhandlung verkauft Vicky ausschließlich Bücher, die glücklich machen und Ablenkung von der eigenen harten Wirklichkeit schenken sollen. Wie ist Ihre Meinung dazu? Was kann und soll Literatur leisten?

Joan Weng:
Meiner Meinung nach hat sowohl die anspruchsvolle Literatur als auch das Triviale Berechtigung. Beides kann seinen Leser erreichen und dessen Welt bereichern, ihm oder ihr einen neuen Blickwinkel offenbaren. Wobei ich persönlich meine literarischen Kollegen sehr bewundere, schon weil ich es selbst nicht könnte.

Belletristik-Couch.de:
Vicky schwärmt für die Liebesromane von Hedwig Courths-Mahler, die eher als trivial gelten. Würden Sie auch zu seinem Buch greifen oder was lesen Sie selber gerne, wenn sie es sich gut gehen lassen möchten?

Joan Weng:
Ich finde immer, das hängt von der Situation ab – letzte Woche waren meine beiden Buben krank, meine Spülmaschine hatte den Betrieb eingestellt, überall stapelte sich dreckiges Geschirr und ich hatte Theater mit einer Versicherung, da hab ich mir abends dann auch nur noch einen Liebesroman auf den kindle geladen, da hatte ich die Wirklichkeit mehr als satt. Aber grundsätzlich würde ich in Vickys Buchhandlung vermutlich nicht so arg viel finden, da „versaut“ einen das Germanistikstudium schon irgendwie ;-)

Belletristik-Couch.de:
Zum Abschluss noch eine Frage zu Ihrer momentanen Tätigkeit. Schreiben Sie derzeit an einem neuen Buch und falls ja, nimmt es den Leser wieder mit zurück in das Berlin der zwanziger Jahre? Kommt es vielleicht zum Wiedersehen mit bekannten Personen?

Joan Weng:
Im Moment bin ich gerade mit der Lektoratsnachbearbeitung meines im August kommenden Romans „Amalientöchter“ fertig – diesmal habe ich die Zwanziger knapp verfehlt, es spielt 1919 und ist eine auf historischen Tatsachen beruhende Lebensgeschichte, weshalb es auch nicht im von Bäumer Kosmos verortet ist. Aber ich freu mich schon sehr drauf, ab Juni schreibe ich da einen neuen Roman, der im kommenden Jahr erscheinen wird. Ich darf natürlich noch nichts verraten, aber es geht in die Welt der Varietés und Tingeltangelshows und viele alte Bekannte werden in mehr oder weniger tragenden Rollen auftreten. Das ist für mich ja auch schön, mir fehlen meine Protagonisten nämlich immer, wenn ich eine Weile „ohne sie“ arbeiten musste.

Das Interview führte Kirsten Kohlbrei im Juni 2019.
Foto: © Boris Weng

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