Markus Orths
07.2022 Autor Markus Orths wurde 1969 in Viersen geboren. Nach seinem Abitur am Humanistischen Gymnasium in Viersen studierte er Philosophie, Romanistik und Anglistik in Freiburg. Den Berufswunsch Lehrer gab er auf, um Schriftsteller zu werden. Heute lebt Orths als freier Autor mit seiner Familie in Karlsruhe. Im Juni erschien sein Roman Ewig währt am längsten - Tante Ernas letzter Tanz, eine humorvolle, aber auch nachdenklich stimmende Geschichte, die am Niederrhein spielt. Belletristik-Couch-Redakteur Thomas Gisbertz sprach mit Markus Orths über die Bedeutung von Heimat, seine Familie und seine neue Romanreihe.
(...) die Herkunft eines Menschen ist lebenslang prägend. Man kann sich damit auseinandersetzen, aus der Heimat herauswachsen, aber die Spuren wird man nicht verwischen.
Belletristik-Couch.de:
Herr Orths, mit „Ewig währt am längsten - Tante Ernas letzter Tanz“ erscheint im dtv gerade ein Roman über Ihre Heimat. In Ihren „Niederrheintexten“ - eine Hommage an Ihre Großmutter - oder den wundervollen Text „Geborgenheit riecht nach Hühnersuppe“ haben Sie häufiger über Ihre Kindheitserinnerungen und das Zuhause-Gefühl geschrieben. Warum hat dieses Thema eine derart große Bedeutung für Sie?
Markus Orths:
Ich glaube, die Herkunft eines Menschen ist lebenslang prägend. Man kann sich damit auseinandersetzen, aus der Heimat herauswachsen, aber die Spuren wird man nicht verwischen. Ob man das gut findet oder nicht. Ich trage in vielfacher Hinsicht diese Spuren in mir, durch die Erziehung meiner Eltern, durch das sehr religiöse Umfeld, das ich erst beim Studium in Freiburg abstreifen konnte, vor allem aber durch das Erzählen. Am Niederrhein wird ständig erzählt. Meine Großmutter väterlicherseits, Elisabeth Herwagen, war die größte Erzählerin von allen. Sie konnte stundenlang erzählen. Von einem ins andere kam sie. Ich habe immer sehr gern zugehört. Und vielleicht auch durch sie selber das Erzählen gelernt. Denn Schreiben geht immer zurück auf mündliches Erzählen.
Belletristik-Couch.de:
Der Roman spielt in Niederkrüchten: einem kleinen Ort am Niederrhein. Was verbinden Sie mit dieser Gegend und Ihrer Heimat im Allgemeinen? Und wie stark hat Sie Ihre Heimat geprägt??
Markus Orths:
Ich denke, der niederrheinische Humor hat mich sehr geprägt. Vor allem das Lachen über den Tod. Den Tod nicht ernst nehmen. Ihn verdrängen. Sich über ihn erheben. „Weißt du wer gestorben ist?“ So wurde ich jahrelang begrüßt von meinen Eltern. Und dann wurde erzählt, wer wie und wann wieder gestorben war. Außerdem hatten die Menschen, die mir begegneten, Nachbarn, Freunde meiner Eltern, immer einen Witz auf den Lippen. Es ging gar nicht ernst. Und sie waren unfassbar schlagfertig. Ganz anders als ich selbst. Ich habe eher immer zugehört. Beobachtet. Aufgesaugt. Die schnelle Antwort, das Mündliche, das war nicht meins. Ich habe immer lieber geschrieben.
Belletristik-Couch:
Wie viel steckt an persönlichen Erinnerungen und Erlebnissen in Ihrem aktuellen Roman?
Markus Orths:
Der Tonfall der beiden älteren Damen Irma und Klärchen, das ist der Tonfall meiner Großmutter Elisabeth. Ansonsten sind die beiden Damen frei erfunden, und Irma hat zum Beispiel mit meiner wirklichen Mutter keine Ähnlichkeit. Anders der Vater, dort habe ich tatsächlich „autobiographische“ Elemente eingebaut, die Figur Paul Storch ist meinem eigenen Vater nachempfunden, der auch zu den Niederrheinern gehörte, die gerne Witze machten: mein Vater pausenlos (im hohen Alter). Und es störte ihn auch nicht, wenn es immer dieselben Witze waren. Pastor Kasper, Tante Erna, Sibille, der Erzähler und die komplette Handlung ist dagegen frei erfunden. Aber in den mündlichen Aussagen der Figuren fließen natürlich auch Sätze ein, die ich so oder so ähnlich gehört habe. „Bei uns liegen Sie richtig“, als „Werbespruch“ eines Bestatters, war ein wirklicher „Running Gag“ unseres Bestatters in Viersen: Thomas Nilles.
Belletristik-Couch.de:
In Ihrem Roman treten mit Bennos Eltern und der Nachbarin Klärchen typische Niederrheiner auf? Was zeichnet für Sie diesen Menschenschlag aus?
Markus Orths:
Schlagfertigkeit. Geradlinigkeit. Reden, wie einem „das Maul gewachsen ist“. Selbstbewusstsein, auch wenn man nichts weiß. Erklären, auch wenn man keine Ahnung hat. „So viel ich weiß“, sagte Hanns-Dieter Hüsch einmal, bedeutet bei Niederrheinern: „Ich weiß eigentlich gar nichts!“ Heimatverbundenheit. Zusammengehörigkeitsgefühl. Viel und gern lachen. Hilfsbereitschaft.
Belletristik-Couch.de:
Obwohl der Roman voller Humor ist, setzen sich nahezu alle Figuren, besonders Bennos Vater, immer wieder mit dem Tod auseinander. Ist Schwermut einfach ein Teil des Niederrheiners, wie es auch Hanns-Dieter Hüsch beschrieben hat?
Markus Orths:
Nicht wirklich, denn die Niederrheiner, die ich kenne, entfliehen der Schwermut durch den Humor. Der Humor lässt uns auch das irgendwann nahende Ende ertragen. Es gibt eine schöne Geschichte, die wirklich passiert ist. Nämlich: Wie meine Großmutter (mütterlicherseits) starb. Die ganze Familie saß am Sterbebett. Man betete. Mein Patenonkel betete vor. Aus dem Gebetbuch. Jetzt kam die Stelle: Herr erbarme dich. In Klammern stand dahinter: (3 mal). Mein Onkel las aber nicht, wie man es hätte tun sollen: Herr erbarme sich, Herr erbarme dich, Herr erbarme dich, nein, er las: Herr erbarme dich dreimal. Alle lachten. In diesem Augenblick starb meine Großmutter. Und das finde ich ganz wunderbar, aber eben auch typisch: mit einem Lachen zu sterben. Da wird dem Tod ein klein wenig der Zahn gezogen.
Belletristik-Couch.de:
Ein zweiter Teil der Reihe ist bereits in Planung. Was wird uns dort erwarten?
Markus Orths:
Pastor Kasper hat einen großen Auftritt am Altar. Er revoltiert Ahab-gleich gegen Gott. Das hat seine Gründe und wird zur Parodie einer Kriminalgeschichte. Irma und Klärchen ermitteln. Schließlich kommen sich der Erzähler Benno Storch und seine Sandkastenfreundin Sibille näher. Wie im ersten Teil soll das Komische und Tragische Hand in Hand gehen: Es sind ohnehin zwei Seiten derselben Medaille: Wie gesagt: Das Komische ist der Versuch, jeder möglichen Tragik (der Existenz) ein Schnippchen zu schlagen.
Das Interview führte Thomas Gisbertz im Juli 2022.
Foto: © Yves Noir
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