11.2012 Sieben Jahre nach "Knietief im Paradies" erscheint Helga Schütz neuer Roman "Sepia". Sie sprach mit Romy Fölck über autobiographische Querverweise, ihre starke Liebe zu Dresden, über die Farbe Sepia und den Wiederaufbau, nachdem Dresden in Trümmern lag.

Ich habe ja dann auch die Trümmer gehabt

Belletristik-Couch:
Ihre Figur Rafaela Reich, Eli, war ja schon die Hauptfigur in Ihrem letzten Roman "Knietief im Paradies". War Ihnen schon damals klar, dass es einen weiteren Roman mit ihr geben wird?"

Helga Schütz:
Nein, das wusste ich noch nicht. Ich wusste, dass ich noch eine Zeitspanne für die Eli parat habe, die von mir aus noch nicht literarisch bearbeitet worden ist, also von meiner Lebenszeit her. Und da hatte ich das Gefühl, es könnte sein, dass ich noch was schreibe. Aber es war wirklich nicht richtig geplant. Das ist halt dann so entstanden.

Belletristik-Couch:
"Knietief im Paradies" erschien 2005. Warum liegen sieben Jahre dazwischen?

Helga Schütz:
Die sieben Jahre sind nicht geplant gewesen. Mein Manuskript ist schon lange fertig gewesen und es hat ein bisschen von Verlagsseite gedauert, bevor es erschienen ist. Ich weiß nicht genau warum. Ich habe es immer so gehalten, ich habe vorher nie erzählt was ich mache. Ich habe nie darüber gesprochen und dann war das von meiner Seite her fertig und der Verlag zog gerade um, da passte das vielleicht nicht auf Anhieb auf den Schreibtisch vom Verlag.

Belletristik-Couch:
Wenn man sich mit Ihrer Biographie beschäftigt, ist offensichtlich, dass Eli Ihr Alter Ego ist. Das Buch hat viele prägnante autobiographische Züge. Aber was unterscheidet Eli von Ihnen?

Helga Schütz:
Uns unterscheidet der erste Satz. Wenn ich anfange zu schreiben und einen Start gefunden habe, dann fange ich an zu phantasieren. Dann kann ich, um es salopp zu sagen, nicht bei der Wahrheit bleiben. Das ist einfach Freude, zu erfinden. Und so schreibe ich die Figur dann auch von mir weg und denke mir auch Figuren aus, die um sie herum sein könnten. Das ergibt dann ein Umfeld und eine neue Biografie, die mit mir dann weniger zu tun hat. Aber ich habe gerne eine Zeit, die ich überprüfen kann, damit mir vom Historischen her – denn es sind ja beinahe historische Romane, die ich schreibe – keine Fehler unterlaufen. Es soll schon alles stimmen und ganz genau sein.

Belletristik-Couch:
Man spürt beim Lesen Ihre starke Liebe zu Dresden. Sie sind in Schlesien geboren, sind 1944 nach Dresden geflohen und haben im Februar 1945 die schreckliche Bombennacht miterlebt. Wie lange haben Sie gebraucht, um diese schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten?

Helga Schütz:
Ich glaube, das verarbeitet man nie. Die erste Zeit geht man einfach damit um, da kommt der Alltag und da gibt es Dinge, die zu bewältigen sind. Aber als eine Hintergrunderfahrung bleibt es ewig. Das habe ich besonders an meiner Mutter gespürt, die – bevor sie starb - immerzu, nicht von Dresden, aber von den Ereignissen bedroht war. Es fielen Wände um, stürzten Häuser ein, es war Feuer. Das war sehr präsent. Das ging mir nun nicht so. Vielleicht kommt das auch durch das Alter, dass man als Kind andere Dinge aufnimmt. Nicht so sehr das Feuer, sondern die Angst der Erwachsenen. Das ist mir am prägendsten in Erinnerung, dass die Erwachsenen solche Angst hatten.

Belletristik-Couch:
Können Sie nach wie vor nach Dresden fahren, ohne dass sie ein mulmiges Gefühl dabei haben?

Helga Schütz:
Mulmiges Gefühl, nun, ich habe ja dann auch die Trümmer gehabt. Ich muss da auch immer wieder darüber sprechen, dass das auch ein schöner Weg war über die Brücke zu fahren und die Silhouette zu sehen, die Fensterhöhlen zu sehen. Ich muss mich mit dem Aufbau jetzt abfinden. Es ist natürlich überwältigend schön, dass die Frauenkirche wieder aufgebaut worden ist. Alle Momente dieses Wiederaufbaues habe ich emotional sehr stark begleitet, mit Tränen oder mit Melancholie.

Belletristik-Couch:
"Sepia" ist anfangs als Titel etwas verwirrend. Dann schreiben Sie, dass Sepia eigentlich ein Farbfilm ist, bei dem die Farben aus technischen oder künstlerischen Gründen im Kopierwerk herausgefiltert wurden. Warum dieser Titel?

Helga Schütz:
Sepia ist ja vielerlei. Sepia ist erst mal der Tintenfisch. Der versprüht eine Farbe, wenn er sich bedroht fühlt oder wenn er entkommen will. Und diese Wolke sieht bräunlich aus. Diese Farbe, dieses Sepia vom Tintenfisch ist beim Film und bei der Fotografie benutzt worden. Früher entstanden eben die Fotos in dieser Farbe. Später hat man diese Farbtöne in Anführungsstrichen doppelt künstlich erzeugt.

Belletristik-Couch:
Wie schwer ist es Ihnen gefallen, über die Schwierigkeiten und Zustände in der damaligen DDR-Zeit, wo viel Mangel herrschte, mit so scheinbar leichter Hand zu schreiben?

Helga Schütz:
Mit leichter Hand… ich habe versucht, die Situation zu benennen. Die Idee mit Eli. Das ist ihre Lebenssituation und sie kennt es nicht anders und nimmt es deswegen so auf, wie es ist, wie es ihr entgegenkommt. So versuche ich es zu gestalten.

Belletristik-Couch:
Dadurch ist der Roman so wunderbar lebendig.

Helga Schütz:
Dazu kann ich gar nichts sagen. Ich versuche, Details zu finden, die dann eine Situation beschreiben und auch ein Inneres zum Ausdruck bringen, nicht nur die Situation, sondern auch die Befindlichkeit einer Figur. Und die Befindlichkeit war da eben so, dass sie nicht verschreckt war oder immer einen gewissen Mut hatte, sich den Dingen sicherlich gestellt hat, aber das auch als normal empfand, also nichts Zurücksetzendes darin sah.

Belletristik-Couch:
Elis große Liebe Ludwig, ihre Freundin Erika und sogar ihre Affäre, der Dozent Schubert machen "rüber" in Ihrem Roman. Wenn auch jeder auf seine Weise. Haben Sie damals selbst einmal daran gedacht, die DDR zu verlassen?

Helga Schütz:
Es gab eben immer diese zwei deutschen Länder. Und man hat sehr geschaut, was auf der anderen Seite lief. Eli hatte ja auch durch ihre schlesische Herkunft im Westen Beziehungen. Sie hat das in Augenschein nehmen können. Die Schlesier sind dann im Westen gelandet…

Belletristik-Couch:
Großvater Heinrich…

Helga Schütz:
Ja, Großvater Heinrich. Und dadurch hatte sie auch ein gewisses Bild, was da vor sich geht. Das empfand sie als eine Unmöglichkeit, dass wieder eine gewisse Aufrüstung vor sich geht. Und das hat sie sowohl im Osten als auch im Westen beobachten können. Schon daher hat sie nicht erwogen, in den Westen zu gehen. Sie war einfach in einer Situation, wo sie sich schon so stark verändert hat, also von Dresden nach Potsdam zu gehen, von der Geborgenheit beim Großvater und in dieser gärtnerischen Atmosphäre, in einen so künstlerischen Umkreis, wo sie gar nicht richtig zu Hause ist. Der Schritt schien ihr schon riesengroß, dass dieser sogenannte politische Schritt für sie gar nicht in Betracht kam.

Belletristik-Couch:
Ein Schmunzler im Buch ist, als Eli die Aufnahmekommission der Hochschule für Kinematographie mit einer Abhandlung über die Metamorphose der Pflanzen überzeugt. Auch Sie haben Gärtnerin gelernt und waren in Ihrer Studiengruppe das Quoten-Arbeiterkind. War das damals auch das Thema Ihrer Arbeit oder ist das erfunden?

Helga Schütz:
Nein, das ist nicht ganz so. Da musste die Phantasie arbeiten. Ich habe ein Eignungsgespräch und eine Aufnahmeprüfung gemacht für die Filmhochschule. Und ich kam genauso naseweis und unbeleckt wie Eli dahin und man hat mir ein bisschen andere Fragen gestellt. (Helga Schütz schmunzelt) Und dann habe ich auch einen Bogen gesucht zu "Knietief im Paradies" mit dieser Zitronengeschichte und mit Elbflorenz.

Belletristik-Couch:
In Ihrem Roman findet man noch einige amüsante Anekdoten aus der DDR-Zeit. Ich denke gerade daran, als der Großvater Anton Elis Bett in den Schrebergarten genommen hat, als Hochbeet…

Helga Schütz:
Nein, als Kompost…

Belletristik-Couch:
… als Kompost. Oder die Weihnachtsgans im Himbeerlikörsud, die eigentlich laut des gesungenen Rezepts in einer Advendsendung mit Curaçao gekocht werden sollte. Haben Sie all diese Geschichten selbst erlebt?

Helga Schütz:
Diese Paradiesbetten aus Metall baute man zu Komposthaufen aus und nutzte alles, was noch halbwegs zu gebrauchen war, wenigstens im Schrebergarten. Ich habe das immer während der Bahnfahrt von Potsdam nach Dresden beobachtet. Da tauchten in den Schrebergärten alle möglichen Sachen auf, so dass dann Hollywoodschaukeln gebaut wurden und Betten.

Belletristik-Couch:
Und die Himbeergans?

Helga Schütz:
Torriani hat wirklich mal so ein Rezept besungen. Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, wie lange die Bratenzeit sein sollte. Da entstand dann so eine Episode.

Belletristik-Couch:
Beim Arbeitseinsatz auf dem Kartoffelfeld, bei dem von den Studenten Bertold Brecht rezitiert wird, schreiben Sie: "Wehe dem Land, das keine Helden hat. Wehe dem Land, das Helden nötig hat. Aber wie sehen neue Helden überhaupt aus?" Ist Eli in Ihren Augen eine Heldin des Alltags?

Helga Schütz:
Nein, also eine Heldin überhaupt nicht. Ich kann eigentlich mit dem Begriff ganz schlecht was anfangen.

Belletristik-Couch:
Wenn man Ihnen Ihre Frage, wie neue Helden aussehen, stellt, wie würden Sie die beantworten?

Helga Schütz:
Die würde ich eigentlich im Raum stehen lassen. Vielleicht findet der Leser genauso wenig eine Antwort wie unsereiner. Helden? Das ist immer ein bisschen schwierig.

Belletristik-Couch:
Ihre Sätze sind sehr knapp gehalten, oft sogar nur stichwortartig. Eine Eigenart des Drehbuchschreibens?

Helga Schütz:
Ja, es wird so gesehen. Ich glaube, es stimmt. Ich habe es schon mehrfach von Rezensenten gehört und möglicherweise habe ich das unbewusst vom Drehbuchschreiben übernommen. Allerdings ist dieses Schreiben für Film und Prosa für mich immer was total anderes. Ich würde nicht wissen, wie man meinen Roman in einen Film übersetzen sollte.

Belletristik-Couch:
Das wäre genau die nächste Frage gewesen: Wenn "Sepia" verfilmt würde, würden Sie gern selbst das Drehbuch schreiben?

Helga Schütz:
Nein, ich wüsste nicht wie. Es hat schon mal eine Mitstudentin, die Autorin Christa Müller, aus "Jette in Dresden" einen Film zu machen. Das war hochinteressant, die hat wirklich was ganz anderes daraus gemacht. Die hat aus der Großmutter so eine Art "Carmen" gemacht, also eine Zigarettenarbeiterin in dem Roman. Und das fand ich wirklich interessant. Ich könnte es nicht. Für mich steht immer gleich fest, das ist kein Film, das ist ein Roman. Und deswegen ist es mit dem Stilistischen ein bisschen ein Problem für mich. Aber andere haben es so gesehen. Es kann sein, dass es daher kommt, dass ich nicht allzu sehr psychologisiere. Also ich gucke nicht so sehr in die Figuren rein, ich kenne sie, aber ich beschreibe sie in dem, was sie tun und wie sie handeln. Und das ist ein bisschen wie Film.

Belletristik-Couch:
Wie geht es weiter? Wird es einen weiteren Roman mit Eli geben? Sie hat ihr Diplom in der Tasche – wird sie Drehbuchautorin wie Sie?

Helga Schütz:
Das weiß ich wieder noch nicht. Im Augenblick schreibe ich was ganz anderes. Ich denke, ein paar Fragen, was aus Eli mal werden könnte, habe ich schon beantwortet. Ich weiß es wirklich nicht, ob da noch was sein sollte, also ein Roman, wo eine Figur Eli heißt. Im Moment nicht.

Belletristik-Couch:
Wir bleiben gespannt! Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Schütz!

  

Das Interview führte Romy Fölck im November 2012.

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