11.2014 Ein persönlicher Einblick und eine Bereicherung für Freunde seiner lockeren Erzählung über das Aufeinandertreffen zweier Kulturen, die Probleme und Freuden, die dabei entstehen.

Zen-Buddhismus, schöpferische Arbeit und brutale Ausbildung

Belletristik-Couch:
Herr Peters, Sie haben einen Roman geschrieben, in dem japanische Keramik eine wichtige Rolle spielt. Was ist so interessant an diesen Schalen, Schüsseln, Tassen und Vasen? Und diesen speziellen Anagama-Öfen?

Christoph Peters:
Mich haben eine ganze Reihe von Aspekten an diesen Schalen fasziniert: Da ist zum einen die äußere Erscheinung selbst. Gerade die alten Schalen aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind oft geradezu grobschlächtig, unregelmäßig, wild verformt und strahlen eine archaische Wucht aus, wie es sie in der europäischen Kunst überhaupt erst in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts gibt. Ich wollte, schon seit ich mit Anfang 20 die ersten Schalen dieser Art in einem Dokumentarfilm gesehen hatte, verstehen, was es damit auf sich hat.

In der japanischen Teezeremonie sind sie quasi Kultgefäße, und die "spirituelle Aufladung" von Gegenständen interessiert mich: Wie wird ein normales "Ding" zum Sakralgegenstand und welche Auswirkung hat die Benutzung in Ritualen auf den Ausdruck des Gegenstands. Darüber hinaus ist es den Japanern mit ihrer Teekeramik gelungen, die hohe Achtung vor dem Handwerk und seiner Qualität ins Industriezeitalter zu überführen und die handwerklich gefertigten Gegenstände tatsächlich als Kunst ernst zu nehmen - anders als bei uns, wo Handwerklichkeit ja eher belächelt wird, wenn es um künstlerischen Ausdruck geht.

Der Anagramm-Ofen ist sozusagen keramische Hochtechnologie des Mittelalters. Diese Öfen wurden ursprünglich in ganz Asien benutzt, um robuste Vorratsgefäße und Reisschalen zu brennen. Sie werden ausschließlich mit Holz in mehrtägigen Bränden auf bis zu 1350 Grad gebracht. Jeder Brand ist anders, sein Verlauf hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Jedes Stück wird dadurch einmalig und unverwechselbar. Man sieht und spürt an Verformungen, den Glasverläufen, die durch natürlichen Ascheanflug entstehen, die enorme Kraft und Energie, die bei so einem Brand freigesetzt wird.

Belletristik-Couch:
Trinken Sie ihren Tee aus einer Schale, die in einem japanischen Anagama-Ofen gebrannt wurde?

Christoph Peters:
Ich benutze eine ganze Reihe verschiedener Teeschalen. Für die Teezeremonie andere als für den normalen Sencha, den ich am Schreibtisch und überhaupt den ganzen Tag trinke. Auch da gibt es mehrere Teebecher, einige in Anagamaöfen gebrannt, aber auch glasierte. Ich probiere da ständig herum, weil jeder Tee aus jedem Gefäß ein bißchen anders schmeckt, das ist nicht anders als bei Wein und den verschiedenen Gläsern, in denen man die verschiedenen Sorten serviert.

Belletristik-Couch:
Was verbindet Sie persönlich mit der japanischen Kultur?

Christoph Peters:
Mich haben - seit ich etwa 17 bin - vor allem verschiede Aspekte der japanischen Kultur beschäftigt: Zum einen die Prägung der künstlerischen Vorgänge durch die Praxis des Zen-Buddhismus. Der Zen-Buddhismus ist die einzige - sagen wir: Religion, die so etwas wie eine Spiritualität der künstlerischen Prozesse entwickelt hat. Diese Spiritualität hat einerseits mit einer geistigen Durchformung und Transformierung der schöpferischen Arbeit zu tun. Man friemelt oder pinselt nicht einfach so vor sich hin, sondern versucht zum Beispiel jeden Pinselstrich aus einer vollkommenen Beherrschung, die durch brutale Ausbildung und ständige Übung erreicht wird, in einen zugleich freien wie vollkommen bewussten Akt zu überführen. Im Idealfall sind künstlerischer Akt, Werk und dieser einmalige Moment, in dem es entsteht vollkommen aus einem Guss. Daneben hat mich die Kampfkunst der Samurai und der Kriegermönche fasziniert - die Frage, wie Spiritualität und Gewalt zusammengehen. Und dann, wieder ganz künstlerisch, haben sowohl der japanische Holzschnitt, als auch die Tuschemalerei mir als Bildkünstler wichtige Anregungen gegeben.

Belletristik-Couch:
Sie haben Malerei studiert in Karlsruhe, waren sogar Meisterschüler. Wieso nehmen Sie die Keramik als Thema und nicht die Malerei, mit welcher Sie doch gut vertraut sind?

Christoph Peters:
Ich hab' in Das Tuch aus Nacht die Malerei bzw. überhaupt die westliche Gegenwartskunst zum Thema gemacht, daneben finden sich auch islamische Ornamente und Teppichkunst. In "Stadt Land Fluß" spielen spätgotische Holzschnitzkunst und Renaissance-Malerei eine zentrale Rolle, in Sven Hofestedt sucht Geld für Erleuchtung gibt es eine Reihe von Geschichten, die sich mit der Fotografie als Kunstform auseinandersetzen. Ich versuche - neben vielem anderen - die verschiedenen Möglichkeiten und Ansätze bildkünstlerischen Ausdrucks zu untersuchen, um damit dem Kern dessen näher zu kommen, was wir als Menschen tun, wenn wir versuchen etwas zum Ausdruck zu bringen.

Belletristik-Couch:
Jan Kollwitz lebt und arbeitet in der Nähe von Lübeck, wo er mit Hilfe eines Anagama-Ofens Keramiken herstellt. Sie sind mit ihm befreundet und haben ihm den aktuellen Roman gewidmet. Wie viel hat diese Freundschaft zum Entstehen des Buches beigetragen?

Christoph Peters:
Ohne diese Freundschaft würde es den Roman nicht geben. Ich habe Jan Kollwitz vor acht Jahren, als ich für den Roman Mitsukos Restaurant erstmals im Bereich der japanischen Keramik recherchiert habe, einen Brief geschrieben, ob er mir wohl ein bißchen aus der Praxis der Keramikherstellung erzählen würde, und ob ich mir so einen Anagramm-Ofen Brand bei ihm wohl einmal ansehen dürfe. Daraus ist diese Freundschaft entstanden, und es gab einfach wahnsinnig viele interessante Geschichten, die Jan Kollwitz mir erzählt hat. Die verbanden sich dann mit Ideen, die ich selber schon länger im Kopf hatte, und irgendwann dachte ich, daß das eigentlich ein Roman-Stoff ist. Schließlich habe ich Jan gefragt, ob ich seine Geschichten wohl benutzen und auch verändern darf, wie der Roman es eben braucht. Und er fand die Idee auch spannend… Aber was wirklich passiert, was gefälscht und was frei erfunden ist, bleibt natürlich geheim.

Belletristik-Couch:
Im Buch gibt es ein altes Versprechen, welches unter Einfluss von viel Alkohol gegeben wurde und welches letztlich dazu führt, dass Herr Yamashiro in Deutschland den ersten Anagama-Ofen baut, damit die hohe Kunst der japanischen Keramikherstellung auch hierzulande Verbreitung findet. Ein recht unspektakulärer Anfang, dieses feucht-fröhliche Zusammensein. Eine Idee mit der Sie das Freundschaftliche und Unkomplizierte unterstreichen wollten oder eine wahre Geschichte?

Christoph Peters:
Neben der Keramik bzw. dem Ofenbau spielt in dem Roman ja auch der Shintoismus, also der alte japanische Geisterglaube, eine wichtige Rolle. Ich wollte, daß es eben eine Hintergrundgeschichte auf der Ebene der Geister gibt… Da ist der Geist des toten Pfarrers aus Rensen, den es auf seiner letzten Reise über Japan hinweg trägt, und eben auch der Geist des alten Töpfermeisters, der letztlich diesen Ofenbau notwendig macht. Ich wollte zumindest mit der Möglichkeit spielen, daß es diese Einflüsse der Geister real gibt - eine Möglichkeit übrigens, von der die meisten Japaner, auch die westlich-aufgeklärten, ganz natürlich ausgehen.

Belletristik-Couch:
Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln, er will nicht die Gerichte seiner Heimat Japan genießen, während er in Deutschland einen Ofen baut. Mettbrötchen statt Sushi. Es ist Zeichen seiner Offenheit, sich den Landessitten anzupassen und etwas Neues zu probieren. Weshalb haben Speis und Trank eine so prominente Rolle in ihrem Buch?

Christoph Peters:
Ich weiß gar nicht, ob es ein Zeichen von Herrn Yamashiros Offenheit ist. Ihm schmeckt das deutsche Essen und er kümmert sich weder um die Ängste seiner mitgereisten Landsleute noch um die Vorurteile der deutschen Gastgeber. Wenn man es spirituell deutet, im Hinblick auf die Frage, was einen Zen-Meister ausmacht, dann besteht dessen geistiger Rang eben nicht aus irgend einer falschen Feierlichkeit, sondern in der Fähigkeit, sich in jeder Situation, ganz gleich wie fremd oder sonderbar sie einem vorkommt, unkompliziert und der Lage angemessen zu verhalten.

Belletristik-Couch:
Es gibt im Buch ein sympathisches Duo, welches falsche Scheu überwindet und mit lockerem Witz überzeugt. Die deutsche Wirtin Frau Mölders und der japanische Ofenbaumeister Herr Yamashiro. Beide sind freizügig und herzlich im Umgang mit der jeweils anderen Kultur. Trotzdem bleiben sie zwei sehr unterschiedliche Personen. Wie kam Ihnen die Idee, diese beiden Charaktere zusammenzubringen?

Christoph Peters:
Also in Cismar selbst gibt es keine Kneipe, auch keine Wirtin. Aber ich hatte "Pit's Schollenkutter" mitsamt Herta Mörders ganz am Anfang schon in Rensen hineingeschrieben, weil ich fand, daß ein Dorf auch eine Dorfkneipe braucht. Und da die Frau nun schon einmal da war, genau so, als Herta, mit dieser etwas rustikalen Art, war es nur natürlich, daß sie eines Tages auf der Baustelle auftauchen würde. Sie stand da, vermutlich weil sie einerseits neugierig war und andererseits ein gewisses Recht auf alle Besucher von Rensen für sich reklamierte. Und also hat sie Mettbrötchen geschmiert, Schnaps eingepackt, wie sich das gehört, und alles Weitere haben die Figuren dann unter einander ausgemacht.

Belletristik-Couch:
Den großen Gegensatz zur Unbeschwertheit von Mölders und Yamashiro bildet der Lehrling und Übersetzer Ernst Liesgang. Er kennt die deutschen und japanischen Verhaltensweisen und nimmt die Rolle eines Vermittlers ein. Dabei ist er mitunter ängstlich, weil er Verstimmungen befürchtet. Braucht es wirklich das Ernsthafte, damit zwei so lockere Personen wie Mölders und Yamashiro sich verstehen können? Oder übertreibt Ernst Liesgang, wenn er Böses ahnt?

Christoph Peters:
Ernst hat, auch weil er einige andere Meisterpersönlichkeiten aus Japan kennt, immer große Sorge, daß irgend etwas Herrn Yamashiro so nachhaltig verstimmen könnte, daß er den Ofen nicht zu Ende baut. Also ist er übervorsichtig und versucht, es allen recht zu machen. Das führt natürlich im Kontrast zu der sehr direkten Art, die sowohl Herta Mölders als auch Herr Yamashiro haben, häufig zu unfreiwillig - also aus Ernsts Sicht unfreiwillig, aus meiner Sicht freiwillig - zu komischen Situationen. Missverständnisse haben ja den Vorteil, daß man, wenn man nicht Teil von ihnen ist, sondern sie sich anschaut, besser versteht, wie die jeweils anderen so gestrickt sind. Und Ernst ist natürlich auch ein bißchen ein Repräsentant des esoterisch-feierlichen Typs, den es in den 80er Jahren ja relativ häufig bei uns gab. Da sind die Leute vor Ehrfurcht erstarrt, wenn sie von einem echten japanischen Meister hörten.

Belletristik-Couch:
Vielen Dank Herr Peters für das Interview.

  

Das Interview führte Sebastian Riemann im Oktober 2014.

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