12.2013 Peter Zimmermann kommt vom Theater, dem allerdings hat er schon vor Jahren den Rücken gekehrt, weil, wie er sagt: "Die Wirklichkeit am Theater, in Wien jedenfalls, war dann doch eine andere." Nicht das, was sich der Autor vorgestellt hat. Text, Musik, Bewegung wollte er zusammen fassen. Auf der Bühne. Jetzt schreibt Peter Zimmermann – und das ausgesprochen gut, kreativ und wortgewaltig, wie er mit seinem neuen Roman Stille unter Beweis stellt. Ein leises lautes Buch.
Im Roman endet jeder Satz im Kopf des Lesers.
Belletristik-Couch:
Herr Zimmermann, Sie sind auch Theatermensch, könnten Sie sich vorstellen, Ihren Roman auf die Bühne zu bringen? Wie würde das aussehen? Zwei Menschen, die sich gegenseitig zerreißen, ganz leise, seelisch? "...die Bilder, das sind Sie und nichts und niemand sonst", sagt ein Therapeut. Seien Sie doch bitte einmal das Bild!
Peter Zimmermann:
Theatermensch bin ich ja eigentlich keiner mehr, aber ich war es in den achtziger und frühen neunziger Jahren, mit großen Plänen, wie man auf einer Bühne Text, Bewegung und Musik zusammenbringt. Die Wirklichkeit am Theater, in Wien jedenfalls, war dann doch eine andere, deshalb habe ich mehr mit dem Schreiben beschäftigt. Da war ich dann selbst das Theater.
Der Roman funktioniert, denke ich, vor allem als Roman. Als solcher ist er ja sehr handlungsreich, aber die Handlung spielt sich vor allem in den Köpfen ab. Für ein Stück müsste ich stark reduzieren und vereinfachen – und vor allem Bilder vorgeben. Auf der Bühne muss ja etwas Sichtbar werden. Im Roman endet jeder Satz im Kopf des Lesers. Das ist schon eine ziemlich starke Vorstellung: man windet sich da in die Gehirne hinein, mit Sprache, nichts sonst, und setzt dort Prozesse in Gang, die niemand bewusst steuert.
Naja, und ich als Bild ... ich sehe mich heute noch oft als das Kind, das ich war, in Momenten großer Einsamkeit, die allerdings so befreiend waren, dass ich vollkommen glücklich war. Das klingt vielleicht etwas pathetisch, aber meine Großeltern, bei denen ich viel Zeit verbrachte, lebten ziemlich abgelegen, und ich durchstreifte stundenlang das Haus oder den Wald. Es war ganz still, niemand vermisste mich, ich vermisste niemanden. Das hab ich noch sehr intensiv in Erinnerung.
Belletristik-Couch:
Bereitet (oder bereitete) Ihre eigene Geschichte, die Sie so schön mit Stille überschrieben haben, Ihnen schlaflose Nächte? Gar Albträume?
Peter Zimmermann:
Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil, ich bin immer erstaunt darüber, was man aus sich herausholt, welche Bilder, welche Empfindungen, welche Konflikte. Das ist ja alles in einem abgelegt, man muss es nur finden. Und vieles, was ich da schreibe, hat mit eigener Erfahrung zu tun. Mit Erlebtem.
Belletristik-Couch:
Tanzen Sie wie Katharina durch den Regen? Was machen Szenen wie diese mit Ihnen?
Peter Zimmermann:
Ich tanze vielleicht nicht durch den Regen, aber ich habe im Lauf der Zeit eine ziemliche Leichtigkeit des Daseins entwickelt. Als junger Mensch war ich schüchtern, verschlossen, depressiv. Introvertiert bin ich immer noch, deshalb mag ich es, wenn Menschen aus sich herauskommen können. Beim Schreiben empfinde ich tatsächlich so etwas wie ein Lustgefühl, wenn eine Figur etwas macht, was mir vermutlich unangenehm wäre. Beim Schreiben stecke ich in Katharinas Haut, ich bin ich und doch jemand anderes und kann deshalb eine Grenze überschreiten. Das hat etwas Erotisches.
Belletristik-Couch:
H.P. Lovecraft, Lord Byron, John Keats, Shelley, John Milton: Ihre eigene Sprache ist so kraftvoll, warum brauchten Sie noch die der amerikanischen, beziehungsweise britischen Autoren?
Peter Zimmermann:
Gute Frage. Ich denke nicht, dass ich sie brauche. Wenn ich zitiere, will ich auch nicht meinen eigenen Text aufwerten. Es ist eher ein Spiel mit Bezügen, weil man ja der, der man ist, auch durch andere geworden ist. Und dann ist es so, dass mir beim Nachdenken irgendetwas einfällt, das ich einmal gelesen habe, eine Zeile nur, das kann auch aus einem Popsong sein. Und diese Zeile bringt mich auf eine Spur, knipst in einem dunklen Gang ein Licht an, das mich wieder ein Stück weit sehen lässt.
Belletristik-Couch:
Lässt sich Gräuel nur in Kombination mit Banalität aushalten? Jan geht spazieren mit seinem bewaffneten Peiniger, und redet dabei über das Wetter. Wie zwei Nachbarinnen es überm Gartenzaun auch tun. Wie passt das für Sie zusammen?
Peter Zimmermann:
Das passt deshalb zusammen, weil beide sich etwas anderes vorstellen können, als Wärter und Gefangener zu sein. Nachbarn vielleicht, die über den Zaun hinweg miteinander reden. Sie hassen einander ja nicht, sie tun, was sie eben tun. Dazu kommt, dass beide die Wahrheit nicht aussprechen wollen. Jan soll eigentlich getötet werden, und wie das so ist in Diktaturen: das Warum spielt keine Rolle. Sie könnten ein philosophisches Gespräch über Täter und Opfer führen, aber dazu sind sie nicht die Typen. Sie reden um den heißen Brei, also auch übers Wetter.
Belletristik-Couch:
Warum "Stille"? Ich kenne kein Buch, das lauter schreit als Ihres.
Peter Zimmermann:
Aber diese Schreie, wenn man es so expressiv verstehen möchte, kommen aus der Stille. Die handelnden Personen werden aus ihren Lebenszusammenhängen gerissen und in die Einsamkeit gestoßen. Wenn nichts mehr da ist, außer man selbst, dann ist es ziemlich still. Das kann weh tun.
Belletristik-Couch:
Warum das Spiel mit Fiktion und Realität? Die Szene, in der Katharina neben Renny Harlin nach Hause geht. Eine zweite, skurrile Szene begleitet die erste. Warum dieses Verwirrspiel? Ist eine Geschichte nicht genug?
Peter Zimmermann:
Das hat damit zu tun, dass ich Denkprozesse in einem Text umsetzen wollte. So wie das Denken nicht eindimensional und geradlinig funktioniert, sondern aus vielen übereinanderliegenden Schichten besteht, wollte ich auch im Text verfahren. Zumindest annähernd. Geschichten gehen ineinander über oder werden parallel erzählt, Zeitebenen verschwimmen, Erdachtes und Reales stehen nebeneinander. Wie es halt in einem Kopf zugeht. In einem Text muss man das natürlich gestalten. Komponieren, wenn man so will, damit sich der Leser in die Gedankenströme einklinken kann.
Belletristik-Couch:
In der eben geschilderten Szene erzählen zwei Menschen ihre Geschichte - und der andere hört nicht zu. Ist das eine Quintessenz ihres Buches, dass Menschen sich zwar für menschliche Tragödien begeistern können, nicht aber für den Menschen selbst?
Peter Zimmermann:
Ja, es gibt im Buch ein paar Namen, die der Wirklichkeit entlehnt sind. Sie haben mit den realen Personen nur soweit zu tun, als gewisse Eigenschaften mit ihnen verbunden sind. George Hincapie, der Radrennfahrer, stand immer im Schatten von Lance Armstrong. Er war der Star und einer wie Hincapie trug dazu bei, dass es so blieb. Er war ein Schrittmacher, ein Zuträger, krasser formuliert: ein Knecht, der, wie alle Knechte Armstrongs, von diesem nicht sonderlich gut behandelt wurde.
Belletristik-Couch:
"Aber sie (June) hat es sich hübsch vorgestellt, den ganzen Tag LSD zu schlucken und Farben zu sehen, wo keine sind... Dabei war Leary nichts als ein betrunkener Weiberheld..." Setzen Sie damit Timothy Leary, dem amerikanischen Psychologen, Autor und Aktivist der Hippie-Bewegung, der sich einen Namen mit LSD-Selbstversuchen gemacht hat - neben den Beatles (in "Come together") und dem Musical "Hair" - ein weiteres Denkmal? Oder ist dieser Drogen-Leary gar nicht gemeint?
Peter Zimmermann:
Da ist schon der Drogen-Leary gemeint. Ich habe in Kalifornien, in der Nähe von San Francisco, einmal Verwandte besucht, ein rühriges betagtes Ehepaar, Mittelstandsrentner in einem weißen Holzbungalow. Die Frau erzählte mir eines Tages, dass sie sich die meiste Zeit ihrer Ehe gelangweilt hatte, obgleich sie über ihren Mann nicht klagen könne. Aber sie habe sich ein aufregenderes Leben vorgestellt, in vielerlei Hinsicht, auch in erotischer. Da wurde mir klar, vor vierzig, fünfzig Jahren war sie jung, ein Mädchen aus Kalifornien, das sich für ein Leben außerhalb der Konventionen begeistert – und sich dann doch nicht traut, so ein Leben zu führen. Sie hat einen braven technischen Zeichner geheiratet und Kinder bekommen. Dabei hätte sie gern einmal mit Typen wie Timothy Leary die Grenzüberschreitung gewagt.
Belletristik-Couch:
"Alle Liebesgeschichten sind banal", lassen Sie Katharina auf der vorletzten Seite sinnieren. Mal ehrlich: Denkt das nur Katharina, oder Peter Zimmermann auch?
Peter Zimmermann:
Aus der Distanz betrachtet sind sie banal, das denke ich auch. Sie laufen ja auch immer ziemlich ähnlich ab. Zwei Menschen kommen zusammen, haben Gefühle füreinander, wollen zusammen sein. Manchmal bleiben sie es, manchmal trennen sie sich. Die Glut eines Werther ist ja nicht die Regel. Gefühle sind nicht banal, Liebesgeschichten sind es schon.
Belletristik-Couch:
Lieber Herr Zimmermann, Sie sind ein wunderbarer Autor, den ich gerade für mich entdeckt habe, aber geht es das nächste Mal ein wenig weniger Schwarz?
Peter Zimmermann:
Zugegeben, das Dunkle reizt mich weiterhin, aber ich mache das ja nicht als l'art pour l'art. Ich schreibe auch nicht so etwas wie "Sin City", wo das Düstere und Böse zelebriert werden. Es ist ja auch nicht alles Schwarz. Am Ende von Stille flimmert ja so etwas wie Hoffnung – eine Befreiung.
Belletristik-Couch:
Arbeiten Sie bereits an einem neuen Buch? Wenn ja, verraten Sie uns ganz kurz, worum es geht? Und vor allem, welche Lautstärke es hat?
Peter Zimmermann:
Es ist etwas im Entstehen, eine Geschichte, die vom Zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart reicht. Sie handelt unter anderem davon, wie Menschen aus der sozialen Unterschicht ganz nach oben geschwemmt werden, welche Ausformungen Gewalt unter verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen annimmt, wie eine Generation vor der nächsten zu entkommen versucht – kurzum: warum wir sind, was wir sind. Und laut – nun ja, ich würde eher sagen: intensiv soll der Text sein. Ich hätte gerne, dass man mit einem Text eine Erfahrung macht, die man mit nichts sonst machen kann.
Belletristik-Couch:
Haben Sie vielen Dank für das Interview!
Das Interview führte Britta Höhne im November 2013.
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