Claire Winter
12.2022 Die Autorin Claudia Ziegler, mit dem Pseudonym Claire Winter, studierte Literaturwissenschaften und arbeitete als Journalistin, ehe sie sich dazu entschloss, sich ganz dem Schreiben zu widmen. Heute lebt sie in Berlin.
"Ich spüre und sehe die Vergangenheit heute an vielen Plätzen und Orten in ganz neuer Weise, auch die Zeit, in der Berlin einmal geteilt war."
Im November erschien ihr Roman „Kinder des Aufbruchs“, eine Spionagegeschichte in Berlin, zur Zeit des kalten Krieges. Zugleich ist es der Nachfolgeband zu „Kinder ihrer Zeit“. Belletristik-Couch-Redakteurin Laura Müller sprach mit Claudia Ziegler, alias Claire Winter, über die Bedeutung einer freien Gesellschaft, die jüngere deutsche Vergangenheit und ihr neuestes Buch.
Belletristik-Couch.de:
Frau Ziegler, in Ihrem neuen Buch beschreiben Sie die Doppelleben verschiedener Menschen in West- und Ostberlin. Als Leser überkommt einen schon beim Lesen ein Gefühl des Misstrauens. Ist dieses Gefühl des ständigen Argwohns innerhalb der Gesellschaft für Sie ein wesentlicher Teil der vergangenen deutschen Teilung?
Claire Winter:
Ich denke, dieser Argwohn und dieses Misstrauen waren zumindest für die Menschen, die damals mit den Geheimdiensten zu tun hatten und unter großen Gefahren aus der DDR geflohen sind, ein bestimmendes Gefühl und eine Erfahrung, die sich nicht so leicht auslöschen ließ. Und ganz besonders nicht für die Menschen, die wie Alice oder Julius im Roman, einmal selbst genötigt wurden, als Informanten zu arbeiten und dadurch persönlich mit diesen verborgenen Teilen der Staatsapparate Kontakt hatten. Das Faszinierende und Erschreckende an Geheimdiensten ist aus meiner Sicht ja, dass sie wie eine unsichtbare Parallelwelt existieren – bis man mit ihnen zu tun hat!
Belletristik-Couch.de:
Sie leben heute selber in Berlin. Wie nahe ist Ihnen die Vergangenheit der einst geteilten Stadt bis heute?
Claire Winter:
Berlin hat sich sehr verändert, sodass es auf mich im Vergleich zu früher fast wie eine andere Stadt wirkt, aber ich bin hier aufgewachsen und habe als Kind noch selbst die Mauer erlebt. Die Erinnerung und Atmosphäre der strengen Grenzkontrollen, wenn man nach Ost-Berlin oder in die DDR einreisen oder über die Transit-Strecke nach Westdeutschland fahren wollte, sind mir noch sehr präsent. Das hat auf mich damals schon bedrohlich gewirkt. Gleichzeitig ist es aber auch so, dass sich mein Blick auf Berlin durch die Arbeit an meinen Büchern verändert hat, denn ich habe dadurch eine andere Beziehung zur Historie dieser Stadt bekommen. Ich spüre und sehe die Vergangenheit heute an vielen Plätzen und Orten in ganz neuer Weise, auch die Zeit, in der Berlin einmal geteilt war.
Belletristik-Couch:
Wie viele Ihrer persönlichen Erinnerungen sind im Roman enthalten?
Claire Winter:
Es gibt wenige wirklich persönliche Erinnerungen. Ich war ja zu der Zeit, zu der die Geschichte von „Kinder des Aufbruchs“ beginnt, noch nicht geboren, aber es sind viele Erinnerungen und Erlebnisse von Menschen, mit denen ich mich unterhalten habe oder deren Biografien ich gelesen habe, mit in die Geschichte dieses Romans hineingeflossen. Ich habe mit vielen Zeitzeugen gesprochen, die zum Teil auch zur Familie oder zum Bekanntenkreis gehört haben, die diese Ära, die Flucht in den Westen, aber auch die Zeit der Studentenunruhen selbst erlebt haben. Für mich sind solche persönlichen Zeitzeugnisse immer sehr wichtig. Diese Erzählungen und Schicksale haben mich entscheidend zu der Geschichte von „Kinder des Aufbruchs“ inspiriert.
Belletristik-Couch.de:
Luca ist ein Junge, der im Kinderheim aufwächst. Er übernimmt eine wesentliche Rolle im Roman. Warum? Wollten Sie an seinem Beispiel die Skrupellosigkeit der Geheimdienste und damit die omnipräsente Einmischung des Systems aufzeigen?
Claire Winter:
Luca ist zur falschen Zeit am falschen Ort ist und sieht etwas, das ihn in Gefahr bringt – und natürlich zeigt sich, weil er ein Kind ist, an ihm auch die Skrupellosigkeit der Geheimdienste in besonderer Weise. Aber das bleibt im Roman nicht Lucas einzige Bedeutung. Er schafft es auch, Emma aus ihrer Depression zu reißen, in der sie sich nach ihrer Fehlgeburt befindet, indem er ihren Beschützerinstinkt weckt. Die ungewöhnliche Beziehung, die zwischen den beiden in der Folge entsteht, ist für die Entwicklung der beiden Figuren wichtig und beeinflusst auch den weiteren Verlauf der Geschichte im Roman. Emma fühlte sich durch Luca zudem unterbewusst auch an das Schicksal ihrer Zwillingsschwester Alice erinnert, die – nachdem sie als Kinder auf der Flucht aus Ostpreußen voneinander getrennt wurden - in einem Heim in der DDR aufwuchs.
Belletristik-Couch.de:
Wieder haben Sie mit „Kinder des Aufbruchs“ einen historischen Roman geschrieben. Was empfinden Sie bei dieser Textform als reizvoll? Was ist es, das Sie gerade für dieses Genre einnimmt?
Claire Winter:
Ich finde es jedes Mal wieder ungeheuer faszinierend, für einen Roman in eine neue historische Zeit einzutauchen. Ich recherchiere ja sehr lange und intensiv für meinen Bücher und einerseits ist es mir dabei sehr wichtig, die politisch-historischen Hintergründe möglichst wahrheitsgetreu wiederzugeben, aber dann interessiert mich auch, wie sich die Vergangenheit für die Menschen damals angefühlt hat. Wie haben sie ihre Zeit erlebt und empfunden? Welche Träume, Ängste und Sehnsüchte haben sie gehabt und welchen Einfluss hat die politisch-historisch Zeit auf ihr Leben und Schicksal gehabt und umgekehrt. Diese Auseinandersetzung finde ich gerade am Genre des historischen Romans sehr reizvoll und spannend, aber auch inspirierend.
Belletristik-Couch.de:
Die Wiedervereinigung ist inzwischen über 30 Jahre her. Als Historikerin scheint mir jedoch, dass die Aufarbeitung der gemeinsamen getrennten deutschen Vergangenheit noch in ihren Anfängen steckt. War das ein Grund für ihre Entscheidung darüber zu schreiben?
Claire Winter:
Ich denke auch, dass diese Aufarbeitung noch ganz in den Anfängen steckt, und ich bin mir nicht sicher, ob diese Arbeit vielleicht sogar erst von den nachfolgenden Generationen geleistet werden kann, weil diese erst den nötigen Abstand und die damit verbundene Objektivität haben werden. Was für mich sicher ein Grund war, dieses Thema in einem Roman zu behandeln, ist die eigene Erfahrung, aus einer Familie zu kommen, die wie so viele andere von der Teilung geprägt wurde: Meine Mutter ist mit ihren Eltern Ende der 50er Jahre nach West-Berlin geflüchtet, einer Tante von mir ist sogar erst Ende Juli 1961, zwei Wochen vor dem Mauerbau, mit ihrem Mann und kleinen Sohn noch die Flucht gelungen und meine Großmutter väterlicherseits hatte ihre Schwester und Familie in der DDR. Die Teilung und Trennung der Familie war also in meiner Kindheit und auch später immer ein Gesprächsthema. Das hat sicherlich sehr dazu beigetragen, mich mit dieser Zeit so intensiv auseinanderzusetzen und auch die Idee zu der Geschichte der beiden Zwillingsschwestern Emma und Alice entstehen lassen.
Belletristik-Couch.de:
Wird es noch eine Fortsetzung der Geschwistergeschichte geben? Und wenn ja, worum wird es gehen? Oder arbeiten Sie an einem ganz anderen, neuen Thema?
Claire Winter:
Auch wenn ich eine weitere Fortsetzung nicht völlig ausschließen würde, ist sie im Moment nicht geplant. Ich recherchiere zurzeit für einen neuen Romanstoff. der in den 40er und 50er Jahren spielen wird, aber die Geschichte ist noch ganz am Anfang, sodass ich leider noch nicht allzu viel verraten kann.
Das Interview führte Laura Müller im Dezember 2022.
Foto: © Michael Scheel
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