Der gute Liebhaber

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2011
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  • Reyjkjavík: Bjartur, 2009, Titel: 'Góði Elskhuginn', Seiten: 200, Originalsprache
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2011, Seiten: 222
Der gute Liebhaber
Der gute Liebhaber
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Hein Quast
691001

Belletristik-Couch Rezension vonSep 2011

Ein Mensch ohne Bücher ist blind...

...sagt ein isländisches Sprichwort. Was bestimmt nicht heißen soll, dass man blind links Bücher von Autoren(innen) der großen Insel kaufen soll. Wobei beim neuen Buch der beliebten isländischen Schriftstellerin Steinunn Sigurðadóttir werden es viele Fans der Autorin vielleicht genau so machen und sich dann zwischenzeitlich fragen, was sie denn da eigentlich lesen.

Eine Liebesgeschichte zwischen modernen Märchen und psychologischer Studie präsentiert Steinunn Sigurdardóttir in ihrem neuen Buch Der gute Liebhaber, und gleichzeitig einen ironischen Roman über die Liebe.

Der Protagonist in diesem Buch ist ein in Amerika lebender reicher Geschäftsmann, Perfektionist, Junggeselle, begehrter Liebhaber, mit starker Bindung an die früh verstorbene Mutter und einem unbekannten Vater. Er reist nach siebzehn Jahren in seine bitterkalte Heimat Reykjavik zurück, um die große Liebe seiner Jugend, die er nie vergessen konnte, noch einmal zu sehen. Der Reisende, wie er anfangs bezeichnet wird, der in seinem ganzen Leben nie mehr als dreimal mit der gleichen Frau schlief und dabei immer nur an seine Jugendliebe dachte, erhält in dem Roman erst nach vierzig Seiten einen Namen. In Reykjavik angekommen, geht Karl Àstuson zum Haus der Angebeteten, beobachtet sie, vor dem Haus stehend.

 

Er hatte für einen kurzen Augenblick die Frau am Fenster gesehen, als sie die Vorhänge zuzog. Und ihr Schatten hatte das Licht im Wohnzimmer ausgeschaltet. Dieser letzte Anblick war ihm zuteilgeworden. Nun gab es keinen Grund mehr nach Island zu reisen.

 

Bevor er wieder geht, legt er eine Rose vor ihrer Haustüre ab.

Seltsam zufällige Umwege und Situationen lassen ihn die Nachbarin seiner Angebeten kennen lernen und bringen ihn schließlich Stunden später wieder zu dem Haus zurück, das heißt ins Haus direkt nebenan. Von Gewissensbissen geplagt und unfähig, eine Entscheidung zu fällen, wendet er sich verzweifelt an eine andere Frau. Er telefoniert, in einem Jacuzzi liegend, nach Amerika und spricht mit einer früheren Liebhaberin und Psychiaterin namens Doren Ash.

 

Diese Romanfigur hat mir beim Schreiben dieses Buches am nächsten gestanden,

 

sagte die Autorin in einem Interview, auch weil sie selbst eine akademische Ausbildung in Psychologie und Philosophie am University College in Dublin absolviert hat.

Karl erläutert Doren Ash seine Situation und bittet um ihren Rat. Er war ihr letzter männlicher Liebhaber. Sie lebt nun in einer Beziehung mit einer Frau. Eindringlich macht sie ihm in dem langen Telefonat klar, dass er der Geliebten jetzt oder nie seine Liebe gestehen soll. Und Karl macht den Versuch!

Eine bis dahin wunderbar erzählte, flüssig  geschriebene Geschichte, die neugierig macht und Spannungsbogen setzt, die bis zu einem Punkt im Roman reichen, wo die Schriftstellerin mitten ins Buch ein "Happyend" setzt. Denn Karl bekommt seine Unna. Die Haus und Ehemann zurück lässt, um mit ihm zu fliehen. Noch in der Nacht entführt er sie, und als Traumpaar fliegen sie zusammen in ein neues Leben.

Anschließend nimmt die Autorin den bis dahin interessiert teilnehmenden Leser, wie selbstverständlich, im Handgepäck mit auf die Reise und auch märchenhaft auf den Arm.  Es folgen bildhaft beschriebene Sammlungen dekadenter Kleesches. Die unerreichbare Geliebte, der Traum aller Männer, ist plötzlich die Frau an seiner Seite. Die Autorin beschreibt das gemeinsame Leben des Paares wie einen endlosen Werbespot. Die Story wechselt aus der isländischen Eiszeit in pastellfarbene, mediterrane Gefilde. Das Leben ist ein Märchen, eine "Traumzeit", wenn auch augenzwinkernd, das kann sich ziehen.

An dieser Stelle verpackt die Autorin ihr Buch etwas früh in seidenes Geschenkpapier, und da angekommen, ist der versteckte Hinweis wohl übersehen worden, dass beim mittlerweile schnelleren Umblättern der nachfolgenden Seiten, die Finger ein wenig klebrig werden könnten, oder durchaus gewollt...?

Kurz bevor das Buch droht, nur halb gelesen im Regal zu verschwinden, bringt die Autorin einen neuen Liebhaber ins Spiel. Kein leiblicher Gegenspieler in der mit Zuckguss aus Reichtum und Schönheit überzogenen, frisch gebügelten Liebe. Nein! Es ist ein Buch. Diesmal geschrieben von der Romanfigur, der Psychiaterin, Doren Ash.

Ein Buch im Buch, mit dem gleichen Titel: Der gute Liebhaber.

Hier beginnt der Roman von Neuem und beim Betrachten des Lesers kehren auch die kleinen Falten in die Stirn zurück und verraten wieder Neugier und Spannung, die Steinunn Sigurðardóttir mit psychologischen Geschick aufbaut und sich eine Wendung in der neu dargestellten Geschichte vollzieht.

Gut möglich, dass sich der ein oder andere Drehbuchautor schon Gedanken um eine Verfilmung macht, auch wenn es am Schluss wieder wie im Märchen ist, oder gerade deshalb?

Ein nettes Buch für jeden der ein modernes Märchen lesen möchte, eine Liebesgeschichte, so wie sie nur im Buche steht, mit allem was dazu gehört.

Ein gutes Buch für den, der zwischen den Zeilen zu lesen vermag und sich, nicht böse gemeint, auch mal auf den Arm nehmen lässt. Wer möchte, kann in dem Buch die verschiedensten psychologischen Zusammenhänge analysieren, auch ein bisschen Murakami finden, ein Eckchen Auster und auch Kafka schauen ab und zu mal raus, winken kurz, und verschwinden wieder, schnell wie Kobolde, hinter dem isländischen Charme und dem psychologischen Gespür einer der wohl prominentesten Autorin ihrer Heimat Island, der großen Insel aus Mythen und Sagen, wo sie viel mehr lesen als reden und...

 

...lieber barfuss sind, als ohne Buch.

 

(isländisches Sprichwort)

Der gute Liebhaber

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