Reifeprozess zwischen den Kriegen
Janna, gerade 18, ist leidenschaftliche Fechterin. Sie wird von ihrem Vater von Maastricht nach Aachen geschickt, um dort Fechtunterricht zu erhalten. Sie reist im Sommer 1936 auf das Landgut Raeren und trifft dort Egon von Bötticher, ihren Fechtlehrer. Von Bötticher ist ein wortkarger Alleingänger. Doch Jannas Phantasie macht ihn zu ihrem ersten Geliebten.
Jugendliche Neugierde
Marente de Moor versetzt ihre Protagonistin in eine Umgebung, die vor dunklen Ecken, abgedeckten Möbeln, versteckten Kammern und wilder Natur nur so strotzt. Geheimnisvoll und undurchdringlich ist nicht nur Raeren, sondern auch sein Besitzer. Auf Janna wirkt all dies abweisend und unheimlich. Doch schon bald führt sie ihre jugendliche Neugierde auf einen Weg, den sie anfangs nie betreten hätte.
Eine unaufgeklärte Geschichte zwischen ihrem Vater und von Bötticher zieht Jannas gesamte Aufmerksamkeit auf sich. In dieser gibt es unbeantwortete Briefe, Schuldzuweisungen und das Gefühl, dass sie nicht nur zum Fechten hergeschickt wurde.
Natur als Spiegel
Moor beschreibt atmosphärisch und bildgewaltig. Die Natur dient ihr dazu, die Gefühlsregungen und –ausbrüche ihrer Figuren zu untermalen und vorauszudeuten. Für von Bötticher ist sie Fluchtpunkt, für Janna eher Hindernis. Stellenweise erinnert die Beschreibung an Fontane oder die Bronte-Schwestern. Kommt es jedoch zu erotischen Phantasien, verlässt die Autorin die Präzision. Diese sind extrem kitschig und bis zum Schluss durch und durch jungfräulich. Am Besten schnell weiterlesen.
Janna ist nicht die einzige Schülerin von Egon. Zwillinge, mit deren Mutter von Bötticher verbunden scheint, gehen ebenfalls bei ihm in die Lehre. Die Eintracht, die von Beginn an zwischen den beiden herrscht, währt nicht lange und führt zu weiteren Komplikationen, die sich in die lange Liste der Geheimnisse auf Raeren einreihen.
Die individuellen Geschichten werden umrahmt von Fechtunterricht und Mensuren, die von Bötticher abhält. Damit verbunden bricht eine Diskussion um die Unverletzlichkeit des Menschen und den 1. und 2 Weltkrieg aus. Gebührt einem nur Ehre, wenn man sich seinem Feind bis zum Tod entgegengestellt hat? Und ist es vertretbar gegen den Krieg zu sein? Gibt es bessere und schlechtere Kriege?
Diskussionen zu diesen Themen und ihre verschiedenen Meinungsvertreter ziehen sich durch den gesamten Roman. Schnell wird deutlich, wer auf welcher Seite steht. Der Nationalsozialismus macht auch vor dem abgelegenen Landgut nicht halt, tritt jedoch noch vergleichsweise harmlos in Erscheinung. Verwüstungen werden weggeräumt, ohne diese weiter zu kommentieren.
Trotz der Rahmenhandlungen und immer wieder eingefügter Andeutungen, wird man das Gefühl nicht los, dass die Geschichte eigentlich doch nur von Jannas Reifeprozess erzählt. Da er jedoch nicht spektakulär oder außergewöhnlich ist, taugt er als Träger der Handlung nicht.
Moor schafft es zwar den Roman kurzweilig zu gestalten: Man möchte gerne wissen was hinter den Briefen zwischen Egon und Jacq steckt. Wie von Bötticher und die Mutter der Zwillinge verbunden sind? Was es mit dem Stich von Thibault auf sich hat? Aber leider bekommt man nur unbefriedigende Antworten. Die Verstrickungen lösen sich auf, zurück bleiben keine Überraschungen. Unbewegt schlägt man die letzte Seite zu.
Das Buch philosophiert über die beste Trefftechnik und über den Treffer in Jannas Herz, kann aber leider keinen eigenen landen.
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