EisTau

  • Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2011, Seiten: 4, Übersetzt: Ilija Trojanow, Bemerkung: szenische Lesung mit Musik
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Daniela Loisl
941001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2011

Eiskalte Gletscher werden heiß verteidigt

Ilija Trojanow lässt in diesem Buch einen Mann beinah verzweifeln an der Ignoranz seiner Mitmenschen. Das Sterben der  Gletscher, das Schmelzen der Eisberge, alle haben sie davon gehört, alle wissen sie darüber Bescheid, aber weiter scheint es niemanden zu berühren, da dies doch alles so weit weg ist und die Konsequenzen letztendlich ohnehin andere werden tragen müssen.

Zeno, ein Glaziologe, liebt die die Alpengletscher und die Antarktis. Er nimmt das Angebot wahr, auf einem Kreuzfahrtschiff als Experte mitzufahren, um den Touristen die wunderbare Welt des Eises zu zeigen und zu erklären. Als einer der Passagiere, ein bekannter Künstler, die Idee hat, ein großes Spektakel zur Rettung der Gletscher zu starten, ist es um Zenos Geduld geschehen – er muss etwas unternehmen. Seine Liebe wird zu Obsession.

Die Antarktis und die Alpengletscher stehen im zentralen Geschehen, und um sie dreht sich auch das gesamte Leben des Protagonisten Zeno.

Trojanows Sprache ist klar und doch gewaltig, gewaltig wie ein Eisberg, möchte man hier sagen und von ebenso durchdringend und packend. Lange Sätze sind Trojanows Markenzeichen, die aber stets gut durchdacht und niemals überfrachtet sind. Immer wieder wird man zwischendurch auf Wörter stoßen, die man so noch nie gehört hat, aber dennoch aufgrund der Erzählung selbst sofort weiß was sie bedeuten. Der Autor kreiert neue Wörter wie ein Maler ein surrealistisches Bild, das noch nie jemand gesehen hat, das Motiv aber sofort erkennt. Das ist von "Eingesundeten" ebenso die Rede wie von "leidmütig" oder "wortfasten" geschrieben wird. Eine schön geschliffene Sprache und ein Erzählstil von ebenso hohem Niveau führen in eine gänzlich andere Welt – die des Eises.

Zeno, eine Mann der alles erreicht hat, möchte man meinen und der doch so ruhelos und getrieben ist, dass er alles hinter sich abbricht, sich von seinem Institut und seine Frau sich von ihm trennt,  nur um seiner Liebe zu den Gletschern frönen zu können. Nein, um seine Liebe zum Eis auch anderen nahezubringen, sie zu überzeugen, welches Reservoir der Erde hier zerstört wird, ihnen die Augen zu öffnen, in ihr Bewusstsein zu dringen und etwas anzurühren in ihrem Inneren mit der Hoffnung, dass auch sie verstehen und endlich umdenken und nicht auf die "schweinehündische Stimme der Bequemlichkeit" hören.

Der Ich-Erzähler Zeno berichtet in Rückblenden von seinem Leben und den Begebenheiten die ihn auf dieses Schiff führten.  Der Autor stellt mit seinem Protagonisten die Menschen dar, die Tag täglich verzweifelt für die Natur kämpfen und so letztendlich auch für die Menschheit selbst, die dies aber nicht zu würdigen weiß.

Pauline, mit der Zeno eine stetige Halbjahresbeziehung führt, lernt man ebenso kennen wie die anderen Passagiere und die Mannschaft. Trojanow versteht es seine Figuren lebendig erscheinen zu lassen, glaubwürdig und authentisch, anmaßend und sensibel, wie eben in der Realität. Feiner und subtiler Humor kommt ebenso zum Tragen wie das innere Hadern Zenos mit sich selbst. Ohnmächtig und im Grunde hilflos muss er mit ansehen wie die Menschen die Natur mit Füßen treten, sie vermüllen, benutzen und nicht wertschätzen.

Zwischen den Kapiteln, denen allen Koordinaten vorangestellt sind, finden sich so etwas wie "Braking News", allerdings in eher fragmenthafter Form. So werden Wortfetzen zusammengewürfelt, Schiffsmeldungen eingestreut, Gedankengänge eingeworfen. Durch dieses Kompendium wird einem die ganze Tragik des Protagonisten noch deutlicher und bewusster.

Ein wunderbares Buch das sich so leicht liest und doch so gewichtig wiegt. Ein literarischer Leckerbissen mit intelligentem und durchdringendem Hintergrund. Trojanow schafft mit diesem Buch eine sprachgewaltige Reminiszenz an die Welt des Eises und letztendlich an uns selbst.

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