Doppelkorntag dem Körnertag
Wer sich mit Büchern befasst – lernt. Unweigerlich. Auch, welche verschiedenen Genre das Metier bereithält. Da gibt es etwa Frauenschmöker, Vatikankrimis und Comedyromane. Wie eben Weichei von Tim Boltz einer ist. Doch, was macht einen Comedyroman aus? Genau, der Humor. Und der ist bei Tim Boltz reichlich vorhanden. Wenngleich in einer nicht immer feinen, sondern zuweilen grotesken Art, die den Leser an so mancher Stelle zum Luft anhalten – oder laut los lachen animiert.
Robert Süßemilch ist eigentlich ein mutiger junger Mann. Dauerstudent, jobbt an einer Tankstelle, trinkt dort gerne mal ein Bier mit seinen Lieblingshartzis, spielt online-Schach mit Peter "Silie", der rasch zu Peter dem Großen mutiert. Mutig, weil er nach sieben Jahren Dauerfreundin Steffi zum Frühstück mit einem Heiratsantrag überraschen will. Doch, die Sache läuft schief. Steffi überrascht ihn, mit Claus im Bett. Claus mit C und seines Zeichens Pilot. Mit stattlicher Figur und unglaublich weißem Gebiss.
Robert versteht die Welt nicht mehr. Schnappt sich die mannshohe, grüne Kirmes-Shrek-Figur aus Plüsch und stürzt aus der Wohnung. Seit diesem Erlebnis ist oben unten. Oder unten oben? So genau weiß es auch Dauerstudent Robert nicht mehr. Zumindest krempelt er sein Leben um: Entsorgt die weiblich anmutenden Yougurette-Packungen aus dem Kühlschrank, tauscht sie gegen Herrenschokolade ein und wartet darauf, männlich zu sein. Reagiert auf Kontaktanzeigen, feiert Sex-Partys, schluckt Viagra und besucht ein Speed-Dating, bei dem er am Ende die Visitenkarte eines Transsexuellen in Händen hält. Alles steht Kopf. Nur die Liebe irgendwann nicht mehr. Die kommt blond daher und heißt Jana.
Roberts Leben ändert sich, er bemerkt, dass Steffi nur war, weil sie war. Nicht aus Liebe. Aus Gewohnheit vielleicht. Neben unzähligen großen und kleinen Katastrophen findet Robert seinen Weg – und er bleibt sich am Ende selbst treu.
Wer den Klappentext zu Weichei liest, denkt unweigerlich, "oh je, schon wieder eine Liebesschnulze". Aber, bei durchaus vorhandener Schnulzigkeit ist Tim Boltz ein wirklich witziges Buch gelungen. Besonders sein Stil fällt auf: Lange Sätze, verschachtelt und zum zweimal lesen gemacht, wechseln sich mit Telegrammstil ab. Mit Ein-Wort-Sätzen, die wie Blitze über Geschehenes einschlagen. Wenngleich Boltz Wortwahl nicht immer gefällt, oft der einer Charlotte Roche ähnelt, findet Boltz immer wieder zurück zum Inhalt. Zum präzisen Inhalt. Beschreibt Szenen so, dass der Leser sie vor Augen hat und zuweilen nicht weiter lesen mag, weil bevorstehender Schlamassel so offensichtlich ist. Und Robert Süßemilch ist ein Typ, Weichei vielleicht, gut erzogen, nicht aggressiv, der einfach zwecks besserer und weniger umständlicher Lebensführung an die Hand genommen werden möchte.
Tim Boltz allerdings kann auch böse sein. Dann etwa, wenn es um Rohkost-Restaurants geht (Robert zieht einen Doppelkorntag dem Körnertag vor), oder um Sushi-Bars mit ihrer Fließbandverköstigung. Auf was soll man da warten, fragt Robert sich im Stillen: "Auf ein Schnitzel? Currywurst mit Pommes? Ein paar Frikadellen...?" Vielleicht auf Geflügelwurst, für die Fernseh-Mann Johannes B. Kerner mit Inbrunst wirbt? Tim Boltz - oder Robert Süßemilch - scheinen Kerner nicht zu mögen. Er bezeichnet ihn als die "sportliche Allzweckwaffe deutscher Fernsehsender". Als "Aufschnittfetischist", "Wiesenhofwiesel" und "Gutfriedgott". An diesen Stellen wird es lustig, vorausgesetzt natürlich, der Leser teilt Boltz Meinung.
Dass Weichei Boltz' erster Roman humoristischen Hintergrunds ist, ist beim Lesen schnell vergessen. Er bleibt seinem Stil treu, schweift nicht ab und beim Erfinden neuerlicher Robert-Katastrophen ist der 1974 geborene Autor außerordentlich kreativ. Was vielleicht kein Wunder ist, hat der gelernte Redakteur doch schon diverse Kriminalromane und Thriller zu Papier gebracht. Bleibt also nur zu hoffen, dass im Folgeband kein Mord geschieht. Denn: Die Geschichte um Robert Süßemilch geht in eine zweite Runde. Das zumindest hat der Verlag bereits angekündigt.
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