Irgendwann werden wir uns alles erzählen

  • Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2011, Seiten: 4, Übersetzt: Anna Thalbach
Irgendwann werden wir uns alles erzählen
Irgendwann werden wir uns alles erzählen
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Rita Dell'Agnese
851001

Belletristik-Couch Rezension vonNov 2011

Eine Anleitung zum Voyerismus

Es ist nur eine kurze Zeitspanne im Leben der blutjungen Maria, die in diesem Buch beschrieben wird. Doch für die Siebzehnjährige verschiebt sich in diesem Sommer ihre ganze Welt. Autorin Daniela Krien verbindet in ihrem Roman die Zeit des Erwachsenwerdens mit einer verstörenden und zerstörerischen Liebe. Doch ist es nicht der nur um weniges ältere Johannes – mit ihm lebt Maria auf dessen elterlichen Hof in einem kleinen Dorf, irgendwo im Osten Deutschlands – der Maria ihre Grenzen erfahren lässt, sondern der vierzigjährige Henner, ein eigenbrötlerischer Nachbar der Familie. Höchst geschickt manövriert Krien durch die "Amour fou". Ohne ins Detail zu gehen, macht sie die Leser zu Voyeuren, die allerdings ausschließlich auf ihre eigene Phantasie bauen müssen. Hier vermag die Autorin ihren Hintergrund als Drehbuchautorin optimal einzubringen, sie schafft eine besondere Atmosphäre, indem sie mit scharfen gedanklichen Bildschnitten arbeitet.

Daniela Krien stellt zwar Maria ins Zentrum der Geschichte, sie gruppiert um die junge Frau aber eine ganze Reihe von Charakteren mit jeweils einer eigenen, prägnanten Geschichte. Der schweigende Knecht auf dem Hof, dem einst eine Liebschaft mit der damaligen Bäuerin nachgesagt wurde; die aktuelle Bäuerin, die als erste in der Familie die Wende in ihren Alltag einfließen lässt; Marias Vater, der in Russland eine neue Liebe gefunden hat, die nur drei Jahre älter ist als seine Tochter: Sie alle tragen zu einem sprachlichen Mosaik bei, dessen Eindringlichkeit sich jedoch erst mit Verzögerung erschließt. Denn das Gelesene bahnt sich langsam und unmerklich seinen Weg durchs Unterbewusstsein, um unvermutet in einzelnen Facetten wieder aufzutauchen. Das an sich unspektakuläre Bild, das Daniela Krien von Hof und Dorf zeichnet, ist wesentlich nachhaltiger als man es zunächst wahrhaben möchte.

Den Roman nun aber auf das – zugegebenermaßen raffinierte, wenngleich schwierige – Beziehungsgeflecht zu reduzieren, hieße, ihm nicht gerecht zu werden. Irgendwann werden wir uns alles erzählen ist auch von einer nicht unerheblichen Kritik an der Form der Wiedervereinigung geprägt. Daniela Krien lässt einen etwas anderen Blick auf die Wende zu, als dies in der Regel der Fall ist. Leise, jedoch nicht ungehört, stellt sie die Selbstverständlichkeit in Frage, mit der die Menschen aus dem Westen gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Werte des Ostens als minderwertig vom Tisch fegen. Die Autorin stellt die Zerrissenheit der ehemaligen DDR-Bewohner in ungewohnter Eindringlichkeit dar, spricht zwar nicht direkt Schuld zu, lässt aber keinen Zweifel daran aufkommen, wie unsensibel, ja gar hochmütig die Menschen im Westen auf die Andersartigkeit der Menschen im Osten reagieren.

Sowohl die Veränderung Marias vom naiven Mädchen zur obsessiven Geliebten als auch die Veränderung eines ganzen Landes könnten als Thema für sich alleine stehen. Die Kombination von beidem ist es aber, die Daniela Kriens Roman über das Gewöhnliche, das schon Gelesene hinaus wachsen lässt. Weder sind es besondere, sprachliche Finessen noch eine atemlose Spannung, von denen der Roman zehrt. Es sind die stillen Momente, erzählt in einer unprätentiösen Art, die überzeugen. Und beeindrucken. So stimmt letztlich das Gesamtbild und lässt die wenigen  schwächelnden Stellen vergessen.

Nach ihrem starken Roman-Debüt dürfte der Autorin bei einem – hoffentlich – folgenden Roman vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Daniela Krien, Hörbuch Hamburg

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

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