Widerspruch
Es ist nicht so, dass Laurent Binet nicht auch daran zweifelt, dass seine mit historisch untermauerten Fakten und erzählerischen Passagen ausgestattete Annäherung an die Bestie Reinhard Heydrich als das verstanden wird, was es ist: Der Versuch einer nachgeborenen Generation sich den Schrecken und die Banalität des Dritten Reiches begreiflich zu machen. Er wählt die direkte Form, die den Leser nicht unbeteiligt lässt. Nicht selten spricht er ihn gleich an, um seinen zwiespältigen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.
Der Einstieg mit der Entdeckung einer Gedenktafel in einer Krypta und der Frage, wer war dieser Widerstandskämpfer überhaupt, der es zu seiner Zeit wagte, auf Heydrich zu schießen, mündet so gleich in einer absurden Szenerie, bei der der Abzugshahn klemmt. Und der Frage: Was wäre geschehen, wenn dieser Wahnsinnige rechtzeitig liquidiert worden wäre?
Der 1972 in Paris geborene Laurent Binet unternimmt den waghalsigen Versuch, den Terror nicht durch ein Sachbuch herauszufiltern und anhand von Statistiken bloßzulegen, er geht mit erzählerischen Mitteln über die Grenzen des Belegbaren, was ihn zuweilen in arge Bedrängnis bringt.
Nach Heydrichs Besuch in dem von ihm selbst geschaffenen Edelbordell und mit Abhörgeräten ausgestatteten "Salon Kitty" kommt es am nächsten Tag zu einer Auseinandersetzung mit einem seiner Untergebenen, bei dem der Autor sich auf die Widergabe des Gesprächs durch jenen Naujocks beruft, das ein Dritter zu Papier brachte. Wie viel Verlass ist auf die Darstellung eines Zeitzeugen, wenn er sich selber kaum erinnert und seine Erinnerungen auch noch von dritter Seite gefiltert werden, fragt Binet und entwirft gleich einen völlig frei erfundenen Dialog zwischen beiden, der seiner Meinung nach eher einem Reinhard Heydrich entspricht.
So geht der Autor an vielen Stellen das Wagnis ein, dass die Historiker über ihn herfallen werden. Sein poetisches Konzept beruht auf der Einsicht, dass er einen unflätigen und machtverliebten Menschen wie Heydrich, der Inbegriff des Bösen, nur einzukreisen vermag und immer dort, wo ihm die Zeit und die Personen nicht scharf genug umrissen erscheinen, die Vorstellungskraft Tatsachen ergänzen müssen. Nicht umsonst nennt er sein Buch einen Roman. Er schreibt über den Attentäter Gabzic:
Diese Szene ist absolut glaubwürdig und vollständig erfunden, wie die vorherige auch. Was für eine Unverschämtheit, einen Mann, der seit langer Zeit verstorben ist und der sich nicht mehr wehren kann, wie eine Marionette zu behandeln.
Doch wie sich gegen das Vergessen wehren?
Heydrich begreift, dass seine rücksichtslose Gewaltbereitschaft, sein Sadismus für die Machthaber von Nutzen sein kann. Er steigt, von Himmler ernannt, von Hitler geschätzt, zum Leiter des Reichsicherheitshauptamts auf. Wer, wenn nicht er, kann die Vernichtung Millionen von Juden als kongenialer Handlanger in Angriff nehmen. Die Doppeldeutigkeit des Titels "HHhH" in der Abkürzung – der Roman heißt "Himmlers Hirn heißt Heydrich" - ist Sinnbild für das Konzept. Er erweist sich als ichbezogene Spiegelung angelesenen Wissens.
Dahinter steckt die Frage, wie kann sich eine Generation, die bestens unterrichtet zu sein scheint, wo die historischen Beleuchtung gleichermaßen abgeschlossen ist, sich die Zeit der Judenvernichtung als Mahnmal erfahrbar machen, ohne sie in eine museale Verpackung von Daten, Fotos und Zeitzeugenberichten ins Regal der allgemeinen Empörung zu stellen.
Nichts ist künstlicher als ein historischer Bericht mit Dialogen, die anhand von Zeugenberichten aus mehr oder weniger erster Hand rekonstruiert wurden, unter dem Vorwand der toten Vergangenheit auf dem Papier Leben einhauchen zu wollen. Stilistisch nähert sich dieses Verfahren der Hypothese an.
Laurent Binet ist zu Recht für sein Debüt mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet worden. Der Verlag wirbt mit dem begeisterten Ausrufs Claude Lanzmanns, der ihn als "großartig und phantastisch" befindet. Als deutscher Leser fragt man sich, darf man das? Binet stellt sich die Frage nicht. Er weiß, dass so viele Jahrzehnte danach, eine Bestie wie Heydrich aus dem Reich der abgestumpften Analyse zurück ins Menschliche gezogen werden muss, um ihn als kranken Schlächter bloßzustellen.
HHhH ist somit mehr als nur ein waghalsiger Versuch eines jungen Schriftstellers, Nazis als machtgierige Underdogs darzustellen. Er erdet die Fakten, indem er sie in der Mutmaßung auslotet. Und wenn er überzieht, gibt er es zu:
Ich habe Blödsinn geschrieben. Zum einen hatte ich mir etwas Falsches gemerkt, zum anderen hat sich meine Phantasie dazwischen gemogelt.
Was häufig zu einer Verunsicherung beim Lesen führt, so dass man hellwach der Geschichte folgt. Immer im Zweifel: Spielt der Autor gerade wieder mit den Fakten oder sind sie belegt?
Ein Spiel? Laurent Binet ist ein zu kluger Autor. Er reizt seine Leser zum inneren Widerspruch, um sie aus der Ecke des historischen Stillstands zu zerren. Wenn es um das Münchener Abkommen und den Verrat an der Tschechoslowakei geht, tauchen Politiker als das auf, was sie sind, egmonanische Komödianten, die ihr Land über alles zu lieben vorgeben.
Dem Autor ist es gelungen, dem Gräuel des Dritten Reiches beizukommen, indem er nicht so tut, als könne er die Wurzeln ausreißen, indem er den Zeigefinger erhebt und damit vor unserer Nase herumwedelt. Sein Heydrich kann zu jeder Zeit ,unter den passenden Umständen, an allen Ecken auftauchen. Wenn der Autor dann von Babi Yar und der Exekution von 33771 Juden berichtet und von einem Packer erzählt, der in der Schlucht die Opfer zu den Leichenbergen führt, wo sie per Genickschuss hingerichtet werden, ist sein Vergleich mit dem Platzanweiser im Theater und die Bezeichnung "Taylorismus beim Massenmord" für manche ein Frevel. Doch der Moment erschüttert umso mehr.
Laurent Binets großartiger Roman lässt einen nicht unberührt zurück. Nicht in einer Zeit, bei der die Aktualität zeigt, dass es nur wieder Heere von Arbeitslosen zu geben braucht, um den Bestien die Türen zu öffnen.
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