Nette Liebesgeschichte mit poetischem Einschlag
Eine zufällige Begegnung, eine tiefe Liebe: Nathalie und François scheinen das Glück gepachtet zu haben. Autor David Foenkinos gönnt dem jungen Paar einige idyllische Jahre, in denen sie zur Einheit verschmelzen. Bis er aus Gründen der Dramaturgie François von einer – für einen winzigen Moment – unaufmerksamen Blumenhändlerin überfahren lässt. Es ist eine jähe Dissonanz, die die sanfte und etwas gar süße Melodie stört, die das Liebesglück der beiden Glückspilze begleitet hatte. Nun lässt Foenkinos die unglückliche Nathalie zuerst in tiefe Trauer und danach in ungebremste Arbeitswut stürzen. Bis in der schwedischen Firma, in der Nathalie arbeitet, ein Quotenmann auftaucht, der zwar François nicht zu ersetzen vermag, doch der trauernden Witwe doch bald ganz neuen Lebensmut einhauchen kann. Dumm nur, dass der Firmenchef Charles selber ein Auge auf Nathalie geworfen hat und nun wie ein Racheengel das Schwert schwingt.
Mit seiner streckenweise poetischen Sprache spielt David Foenkinos die Banalität der Liebesgeschichte von Nathalie und François zunächst gnadenlos an die Wand. Was bei fast jedem anderen einer abgedroschenen Plattitüde gleich käme, wird bei Foenkinos zu einem Synonym für Glück. Und doch: selbst der feine Humor des Autors kann nicht verhindern, dass die etwas gar süßliche Geschichte mit der Zeit eine leichte Klebrigkeit entwickelt. Käme da nicht die unachtsame Blumenhändlerin, so wäre bald einmal das Maß des Erträglichen erreicht. Die veränderte Situation Nathalies kommt auch durch eine veränderte Sprachmelodie des Autors zum Ausdruck. Die Sätze werden schneller und härter, verlieren an Lieblichkeit, die humorvolle Note bekommt einen bitteren Beigeschmack. Auch diesen Part reizt David Foenkinos bis zum Letzten aus. Just in dem Moment, in dem der Leser sich aufseufzend zu fragen beginnt, was denn nun die Geschichte erzählen will, erscheint mit dem Schweden Markus eine neue Figur auf der Bildfläche. Die Geschichte gewinnt wieder an Farbe und legt gerade so viel zu, dass sie weiter als Liebesgeschichte mit poetischem Einschlag akzeptiert wird.
Zwar ein Stilelement, aber nur gerade in den Anfängen auch tatsächlich witzig, sind die Kleinstkapitel, die in der Regel von Aufzählungen ohne Begleitwerk leben. David Foenkinos setzt diese Kleinstkapitel sozusagen als Pausenzeichen ein – er lässt die Leser an dieser Stelle durchatmen, aber auch darüber sinnieren, was denn dieser Text nun eigentlich mit der Geschichte zu tun hat. Außer, dass er oft auf einem Detail in einer vorangegangenen Situation aufgebaut ist. Man darf sich getrost fragen, ob diese Pausenzeichen oder Kleinstkapitel nicht auch hätten weggelassen werden können, ohne damit die Geschichte selber in irgendeiner Form zu beeinträchtigen.
Viele Einfälle von David Foenkinos sind bestechend einfach und witzig. Sie machen den Reiz einer Geschichte aus, die sich stark vom Gewöhnlichen – und vom Gewohnten – abhebt. Aber die Ähnlichkeit zur, ebenfalls in Paris spielenden, Geschichte Die fabelhafte Welt der Amélie lässt sich kaum verleugnen – ob sie nun gewollt ist oder auf reinem Zufall beruht. Genau dies nimmt Nathalie küsst einen Teil seines bestechenden Charmes. Im Autorenportrait auf der hinteren Buchklappe erfährt der Leser dann auch, dass der Roman von einem Bruder des Autors, Stéphane Foenkinos derzeit verfilmt wird – in der Hauptrolle Audrey Tatou, die bereits als Amélie brillierte.
So nimmt der Leser eine zwar bezaubernde, aber kaum lange nachwirkende Dosis Gefühl zu sich, erzählt mit einer gekonnt humorvollen Note. Nach besonderem Tiefgang oder zumindest einem tieferen Sinn wird der Leser jedoch vergebens suchen. Nathalie küsst ist gekonnte Unterhaltung, die wohl ganz bewusst an der Oberfläche schwimmt.
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