Weiniger ist zumeist mehr. Auch in der Literatur.
Als junges Mädchen verbrachte Julia Forrester jede freie Minute bei ihrem Großvater, einem bekannten Orchideenzüchter, im Gewächshaus von Wharton Park. Nach einem schweren Schicksalsschlag führt der Zufall Julia Jahre später noch einmal zu dem Anwesen zurück. Der jetzige Besitzer Kit Crawford überreicht ihr ein altes Tagebuch, das bei den Renovierungsarbeiten gefunden wurde und womöglich Julias Großvater gehörte. Als Julia ihre Großmutter Elsie mit dem Tagebuch konfrontiert, drängt ein jahrelang gehütetes Familiengeheimnis ans Licht, das auch Julias Leben komplett verändern wird …
Blumen verbinden offensichtlich. Selbst dann, wenn es sich um Schmarotzer wie farbenprächtige Orchideen handelt. Orchideen, überwiegend im südamerikanischen und asiatischen Raum beheimatet, haben es schwer im oft kalten und nassen England. Nicht aber im Gewächshaus des herrschaftlichen Anwesens von Wharton Park. Dort allerdings spielt nur ein Teil der recht opulenten Geschichte, die die irische Autorin Lucinda Riley unter dem Romantitel Das Orchideenhaus veröffentlicht hat.
Der Roman beginnt mit einer Geschichte in der Geschichte. Mit der über eine schwarze Orchidee - die es nicht gibt. Das Märchen ist schön, sinnlich, klingt nach 1001 Nacht, ist mit dem Titel Siam, vor vielen Monden überschrieben - und endet letztlich nur in Norfolk, England. Dort ist die junge Konzertpianistin Julia Forrester unter gekommen, nachdem ein schwerer Schicksalsschlag sie aus ihrer Wahlheimat Frankreich vertrieben hat. In einem kleinen Cottage versucht sie, zu sich selbst zu finden. Was ihr gelingt, nach exakt 539 - zum Großteil - interessant zu lesenden Seiten
Während Julia Forrester um Mann und Kind trauert, die bei einem Autounfall (scheinbar) ums Leben gekommen sind, lernt sie Kit kennen. Kit Crawford, Erbe des ansehnlichen Familiensitzes. Er überreicht Julia ein erst jüngst aufgetauchtes Tagebuch. Eines, das ihrem Großvater gehörte, der über viele Jahre Gärtner im Herrenhaus von Wharton Park war. Julia geht mit den neu erworbenen Aufzeichnungen zu ihrer Großmutter Elsie und wird in ein Familiengeheimnis eingeweiht, wie es aufregender und verwirrender kaum sein könnte.
Lucinda Riley schont ihre Leser nicht. Die Protagonisten stolpern von einem Schicksalsschlag in den nächsten. Kaum ist eine Geschichte ausgestanden, geht es mit der nächsten im rasanten Tempo weiter. Die irische Autorin nutzt dabei geschickt das Spiel der zwei Zeitfenster. Nicht nur, dass sie unterschiedliche Zeiten nutzt, nein, zuweilen liegen viele Tausend Kilometer zwischen den Spielorten: Norfolk und Bangkok. Dort nämlich erfährt Julia die eigentliche Geschichte ihres Daseins. Erfährt, dass sich ihr Großvater nach jahrelanger Kriegsgefangenschaft in eine junge Thailänderin verliebt hat. Die Geburt des Kindes, seines Kindes, hat er nicht mehr erlebt, weil er längst wieder in England war, um das Herrenhaus vor dem Verfall zu retten. Die Geschichte nimmt ihren Lauf, der leider all zu oft vorhersehbar ist.
Lucinda Riley reiht sich ein in die Liste derer von Charlotte Link und Kate Morton. Sie ist eine mehr von den Schreiberinnen, die die Melancholie und das Drama der Welt in sich zu tragen scheinen. Dabei hat Riley – was ihr bei der Länge des Buches anzurechnen ist – eine Sprache gewählt, die verständlich ist, lesbar, sich nicht im Satz-Wirrwarr verliert, wie sich die Geschichte selbst zuweilen verliert. Auch regt die Theater- und Fernsehschauspielerin an, wieder Klassiker in die Hand zu nehmen, die ihr offensichtlich auch als Vorbilder dienten: Jane Austen etwa oder die Bronte-Schwestern.
Das Umfeld des Geschehens könnte ebenfalls einer Austen-Passage entspringen: Klassisch, leicht kitschig, stets britisch, selbst dann, wenn Szenen in Thailand beschrieben werden. Aber es geht immer wieder zurück nach England, mit seiner tragend schweren Stimmung und den oft melancholischen Menschen. Melancholie ist nichts Schlechtes, nur zuweilen stellt sich die Frage, wie viel Schicksal einer Romanfigur zugemutet werden kann, damit sie nicht unglaubwürdig wirkt? Riley hat manchmal zu dick aufgetragen. Besonders Julias wirklicher Großmutter Lidia hat sie eine schwere Last auf die schmalen thailändischen Schultern gelegt.
Doch am Ende, wie sollte es auch anders sein, wird alles gut. Das Geheimnis ist gelüftet, das Familienschloss gesichert und die kleine, alte Dame aus Thailand schließt ihren Frieden mit der Grausamkeit des Lebens.
Ein Schmöker. Einer, der Geschichte beinhaltet, Reiseberichte, Pflanzenkunde, schön erzählt ist und die Gedanken abschweifen lässt. Nur, ganz ehrlich: Manchmal ist weniger mehr. Auch in der Literatur. Da hallen gerade die kurzen, knackigen Passagen nach, die es bei Riley unweigerlich gibt. Nur sind sie verpackt in die Endlosschleife der Familiensaga.
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