Die freudlose Gasse

  • R. Löwit
  • Erschienen: Januar 1924
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  • Wien; Leipzig: R. Löwit, 1924, Seiten: 290, Originalsprache
  • Salzburg: Hannibal, 1980, Seiten: 290, Originalsprache
  • Frankfurt am Main; Berlin: Ullstein, 1988, Seiten: 142, Originalsprache
  • Wien: Milena, 2011, Seiten: 250, Originalsprache
Die freudlose Gasse
Die freudlose Gasse
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Daniela Loisl
921001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2011

Milieustudie vom Feinsten

In einem stundenweise vermieteten Zimmer in der Melchiorgasse geschieht ein Mord. Eine schöne junge Frau aus der gehobenen Gesellschaftsschicht wird tot aufgefunden - vom Täter keine Spur.

In derselben Gasse lebt auch Grete Rumfort mit ihrer Mutter, ihren Geschwistern und dem Großvater. Seit dem Tod des Vaters liegt die ganze Verantwortung der Familie bei Grete; sie ist die Ernährerin der Familie und als sie ihre Arbeit verliert, ist es die zwielichtige Schneiderin Greifer, die ihr Geld leiht und vermeintlich Verständnis für Ihre Lage aufbringt. Und dann nimmt Grete noch den jungen Otto Demel, Redakteur des "Wiener Herold", als Untermieter auf, der ihr immer sympathischer wird. Otto wieder ist befreundet mit dem Rechtsanwalt Leid, dem Gatten der Ermordeten.

Tiefe Kluft zwischen arm und reich

Als der Roman "Die freudlose Gasse" 1924 erstmals als Buch erschien, war Bettauer einer der verhasstesten, beliebtesten, gefürchtetsten und verehrtesten Feuilletonisten Wiens – sagt Murray G. Hall in seinem Nachwort des Romans.

Liest man den Roman, so wird einem auch schnell klar, warum. Es ist nicht Bettauers Sprache die den Leser bannt oder fasziniert, sondern seine Begabung, den Leser hinter die Kulissen der verschiedensten Gesellschaftsschichten blicken zu lassen und den Finger auf Wunde Punkte zu legen.

Die beiden Erzählstränge, die durch das Buch führen, begleiten die beiden Protagonisten Otto Demel und Grete Rumfort, die beide in verschiedenen Welten leben und deren Wege sich dennoch kreuzen. Obwohl schon alleine der Titel eher eine bedrückend düstere Geschichte vermuten lässt, hat der Autor mit seinem subtilen und empathischen Erzählstil alles andere als eine depressive Erzählung geschaffen. Einerseits gewährt er dem Leser Einblicke in die vermeintlich heile, glänzende Welt der Reichen und Schönen, zeigt aber gleichzeitig auch die Schattenseiten dieses Daseins auf brutal ehrliche Weise. Und ebenso schildert er den harten, täglichen Überlebenskampf der Menschen, die noch mit den Folgen des ersten Weltkrieges zu schaffen haben.

Als Schauplatz hat Bettauer sich eine Hintergasse Wiens ausgesucht, in dem das Proletariat zu Hause ist. Die Melchiorgasse dient als Kulisse, vor der ein breit gefächertes Spektrum an Charakteren ihre Auftritte absolviert. Der Leser ist im ständigen Wechsel von einer schönen und teuer aufgemachten Theaterbühne mit allen möglichen Raffinessen und einem heruntergekommenen, notdürftig zurechtgemachten Planwagen, der als Bühne fungiert. Die Verbindung dieser beiden so konträren Bühnen ist es, was das Besondere an diesem Buch ausmacht.

Atmosphärisch dicht

Begleitet man Grete durch ihr Leben, ertappt man sich schnell einmal dabei, wie man ganz still und heimlich dankt, sich nicht in deren Lage zu befinden. Man möchte auch gar nichts zu tun haben mit "solchen" Leuten, denn allzu greifbar ist das Leid und die Hoffnungslosigkeit die hier zu Tage tritt. Grete arbeitet für einen Hungerlohn und ihr schmierig widerlicher Chef, der um die Lage ihrer Familie weiß, bietet ihr mehr Geld, zeigt sie sich ihm gegenüber doch etwas "großzügiger". Als Grete ihre Arbeit verliert, sieht, wie ihre Geschwister hungern, ihre Mutter in Depression verfällt und sie nicht mehr weiß, was sie machen soll, da kommt ihr die angebotene Hilfe der undurchsichtigen, aber bauernschlauen Frau Greifer gerade recht.

Hier zieht der Autor das Register seines ganzen Könnens; sein Feingefühl, das reelle Leid der damaligen Zeit bildhaft, authentisch und vor allem auch nachvollziehbar darzustellen, weckt beim Leser ein Gefühl der Beklemmung, denn allzu deutlich wird einem bewusst, dass dies alles nicht irgendeine ausgedachte Geschichte ist, sondern dass lebendige Menschen hier Pate für das erzählte Geschehen standen.

Und immer wieder, um nur ja nicht zu schwer von dem Leid der Menschen in der Melchiorgasse belastet zu werden, erlaubt Bettauer einen Schwenk in eine gänzlich andere Gesellschaftsschicht. Da begegnet man gut verdienenden Rechtsanwälten, fleißigen und strebsamen Bankangestellten genauso wie dem großkotzig und kaltschnäuzigen Milliardär. Aber dann gibt es doch noch Menschen, die zwischen diesen krassen Schluchten ihren Platz gefunden haben, wie Horak, ein Detektiv der Polizei und eben Otto Demel, den geradlinigen jungen Redakteur, die versuchen den Mord von Lia Leid aufzuklären.

Manchmal beinahe zu plastisch

Bettauer hat ein Gesellschaftsportrait geschaffen, eine Milieustudie die auf sensible Weise veranschaulicht, wie schnell ein heute noch gut situierter Mensch morgen schon mittellos und geächtet dastehen kann. Die Gesellschaft ist gnadenlos, viel zu schnell mit (Vor)Urteilen, unbarmherzig wenn anderen Leid geschieht und borniert scham- und taktlos so lange es nicht sie selbst betrifft.

Bettauers Roman ist eine Sozialstudie mit spannendem Rahmen und man merkt schnell, dass sich die Menschen seit 1924 nicht geändert haben. Sind auch die Schauplätze und die Gegebenheiten anders, so hat Bettauer es schon damals geschafft, den Menschen die Masken von den Gesichtern zu reißen und das Leben so zu zeigen wie es wirklich ist.

Dass er damals dafür von vielen Kollegen gehasst wurde, ihn das Publikum aber liebte, zeigt, wie hervorragend er es verstand den Nerv der Zeit zu treffen.

Die freudlose Gasse

Hugo Bettauer, R. Löwit

Die freudlose Gasse

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