Vom Ende einer Geschichte
- Kiepenheuer & Witsch
- Erschienen: Januar 2011
- 5
- Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011, Seiten: 181, Übersetzt: Gertraude Krueger
- Berlin: Argon, 2012, Übersetzt: Manfred Zapatka
Dem Vergangenem zu
Als Julian Barnes dieses Jahr für den Booker-Preis nominiert wurde, geisterte die Geschichte durch die Berichterstattungen, dass er nicht ganz an seine Chance glauben mochte. Zu oft stand er vergeblich auf der Short List. Ausgerechnet für einen Roman, der nur 182 Seiten lang ist und sich lange Zeit um das Erwachsenwerden dreht, sollte ihm die Ehrung nun gewährt werden? Mit zahlreichen Romanen wie "Love etc.", "Darüber reden", Arthur und George", "Flauberts Papagei" und nicht zuletzt als Kriminalautor unter dem Namen Dan Kavanagh hat er sich als arrivierter Autor vorgestellt, der gerne mit der Wirklichkeit spielt.
Barnes verlässt sich nicht auf das, was er sieht, was er hört, was als überliefert sicher erscheint. In "Vom Ende einer Geschichte" geht er so weit sich und uns zu fragen, dürfen wir uns auf unsere Erinnerungen verlassen. Spielt die Vergangenheit uns nicht häufig einen Streich, weil wir bestimmte Ereignisse unbedingt so in Erinnerung halten wollen. Weil wir jemand geliebt haben, weil wir von jemandem enttäuscht, weil wir von jemanden verletzt wurden oder weil die Jahre danach uns mit uns versöhnt haben?
Zwischen Adrian Finn und Tony Webster entwickelt sich während der Schulzeit das, was man so gerne mit "Bester-Freund-Beziehung" umschreibt. Sie erzählen sich alles und halten zusammen. Die Weg trennen sich schließlich. Jeder folgt seinem Pfad und im Abstand der vielen Jahre schrumpft das Traurige, Schlechte und wächst die Verklärung an die guten Zeiten an.
Julian Barnes erzählt eine Geschichte, die wir alle in der einen oder anderen Spielart kennen. Eine gewisse Wehmut ergreift uns, wenn wir an alte Freundschaften denken, die unerschütterlich erschienen, dann unerklärlicherweise abgekühlt sind. Doch er geht einen Schritt weiter und stellt die Frage danach, wie sehr wir uns trauen dürfen. Angesichts der Tatsache, dass uns manchmal die Namen schon gar nicht mehr einfallen oder wir womöglich auf dem Weg zum Alzheimer sind. Wie sehr richten wir die Welt da draußen und in uns nicht nach unseren Sehnsüchten, unserem Verstellen, unserem Überleben, unserer vermeintlichen Zukunft aus?
"...am Ende ist das, was man in Erinnerung behält, nicht immer dasselbe, was man beobachtet."
Eigentlich eine Binsenweisheit. Zwei Menschen können sich vor einer halben Stunde unterhalten haben und doch ein ganz anderes Gespräch wiedergeben, das nicht selten Gegenstand eines Streits wird. Und so kommt der Bruch in Tony Websters Leben, als er Veronica begegnet, einer Frau, die sich ihm erst entzieht, von deren Familie er sich abgelehnt und belächelt fühlt, und die sich ihm hingibt, nachdem er sich getrennt hat. Nicht ohne die Hoffnung, ihn womöglich zurückzugewinnen. Natürlich wird das alles nicht zugegeben, nicht mit offenen Karten gespielt, und es erscheint fast so, als verlaufe es im Sand.
Doch dann erbt Tony plötzlich eine Wiedergutmachung von 500 Pfund und das Tagebuch des verstobenen Adrians. Hier nun setzt Barnes seinen Hebel an. Ausgerechnet Veronica ist in Besitz der heimlichen Aufzeichnungen Adrians und weigert sich, sie Tony zu übergeben, weil sie die Aufzeichnungen angeblich verbrannt hat. Sie gewährt ihm nur in Auszügen Einblick. Was seine Neugier noch steigert. Wie war das noch mal mit Vivianne, mit ihrem Bruder, mit Adrian, mit Tony selbst? Damals. Worauf ist Verlass, wenn er an früher denkt?
Die Scheidung liegt hinter Tony, seine Karriere ist beendet. Er war nie ein Mensch, der vorbehaltlos an sich geglaubt hat. Er weiß, dass er Glück gehabt hat. In seinem Umfeld gibt es keine großen Schicksalsschläge wie Krankheit oder Armut. Umso mehr verstrickt er sich in die Suche nach der Wahrheit über das Damals, das ihn so sehr geprägt hat.
Spielerisch erzählt Julian Barnes von Beziehungen, die nicht enden wollen, wenn ihre Geschichte ausläuft. Es treibt sie weiter um, wenn sie etwas in Erfahrung bringen, das nicht in ihr Bild über einen Freund passt. Am besten wir greifen zu einem Buch und entfliehen dem, was wir nicht sehen wollen.
"Wenn man jung ist – als ich jung war – will man, dass die Empfindungen so sind wie die, von denen man in Büchern liest. Man will, dass sie das ganze Leben umkrempeln, dass sie eine neue Realität schaffen und bestimmen. Später will man, glaube ich, dass sie etwas Sanfteres tun, etwas Praktischeres, sie sollen das Leben unterstützen, so wie es ist und geworden ist. Sie sollen dir sagen, dass alles in Ordnung ist."
Gibt es einen überzeugenderen Grund zu lesen? Unsere Geschichten sind wie das Cover des Romans in Schwarz-Weiß eingefärbt. Wir sehen einen Mann und eine Frau auf einem Spaziergang. Im Regen, in eine Unterhaltung verstrickt. Julian Barnes weiß, solange er vom Leben erzählt, bleibt alles in Bewegung.
Das macht es so spannend, seine Romane zu lesen.
Julian Barnes, Kiepenheuer & Witsch
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