22 Britannia Road

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2011
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  • München: dtv, 2011, Seiten: 434, Übersetzt: Brigitte Jakobeit
22 Britannia Road
22 Britannia Road
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Rita Dell'Agnese
891001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2011

Kriegstrauma sichtbar gemacht

Der kleine Aurek betrachtet seinen Vater Janusz als Feind. Sechs Jahre lang hat der Junge seinen Vater nicht gesehen, als er mit seiner Mutter das Schiff besteigt, das die beiden von Polen nach England bringen soll, wo Janusz auf sie wartet. Sechs Jahre, in denen Silvana und ihr Sohn Aurek zunächst im Wald und später in einem Rotkreuz-Auffanglager lebten, wo sie versuchten, den Schrecken des Krieges zu verdauen. Auch Silvana weiß nicht, wie sie Janusz begegnen soll. Sie ist nicht mehr das unbeschwerte Mädchen von einst. Janusz hingegen fühlt sich seiner kleinen Familie gegenüber hilflos und schuldig. Schuldig auch deshalb, weil es in den letzten Jahren in seinem Leben Hélène gegeben hat, die ihn nicht nur über die Trennung von seiner Familie hinweg tröstete. Nach ihrer Wiedervereinigung in England leben die drei Menschen in einem stetigen Spannungsfeld und müssen immer damit rechnen, dass das von ihnen mühsam errichtete, fragile Familiengebäude in sich zusammen bricht.

Nicht blutrünstige Szenen mit zerfetzten Leibern machen die eindringliche Brutalität dieser Nachkriegsgeschichte aus. Der Schrecken ist bedeutend subtiler. Er manifestiert sich im Verhalten von Aurek und Silvana ebenso wie in jenem von Janusz, der versucht, seiner verstörten Familie ein sicheres Zuhause aufzubauen und doch daran scheitern muss, dass seine eigene Seele unter dem Krieg ebenso gelitten hat, wie die seiner Familie. Die Autorin Amanda Hodgkinson arbeitet mit intensiven Bildern, um die Geschichte zu erzählen. Auf der einen Seite ist das Leben in Ipswich, das sich Janusz so romantisch vorgestellt hat, das sich aber als Trugbild entpuppt. Denn Silvana ist nur bedingt bereit, sich auf die neue Beziehung zu ihrem Ehemann einzulassen und Aurek kann sich zunächst gar nicht in die Situation einfügen. Auf der anderen Seite sind die sechs Jahre, die das junge Paar trennten und die bei allen der drei beteiligten Personen nachhaltige Schäden hinterlassen haben.

In einem stetigen Wechsel der Zeiten und der Schauplätze baut die Autorin ihren Roman aus vielen Facetten und Schilderungen zusammen. Das tut sie äußerst feinfühlig und geschickt. So entsteht ein sich ständig veränderndes Bild, dem sich aber mühelos folgen lässt. Die einzelnen Sequenzen, die Hodgkinson schildert, sind umsichtig gewählt. Die Leser sind in der Lage, sich vorzustellen, unter welchen Umständen Janusz und Silvana mit Aurek in ihrer jeweiligen Situation lebten und weshalb sie sich zu dem entwickelten, als dass sie einander nach den Trennungsjahren wieder begegnen. Mit Fingerspitzengefühl beschreibt Amanda Hodgkinson die Annäherung des Ehepaares, die jedoch immer wieder zu scheitern droht. Nicht zuletzt aufgrund des stetigen Widerstandes, mit dem Aurek der neuen Lebenssituation begegnet – sei dies nun die Abneigung gegenüber dem Vater oder seine Weigerung, sich in den Schulalltag zu integrieren.

Gerade als scheint, dass auf dem Trümmerfeld des zweiten Weltkriegs nichts mehr entstehen kann, keimt Hoffnung. Damit entschärft die Autorin ihren Nachkriegsroman, ohne ihm die intensive Ausstrahlung zu nehmen. Sie versöhnt mit der Geschichte eines auf dem Kriegsfeld verlorenen Paares. Dabei bleibt sie aber ihrer Linie treu, die sie von Anfang an eingeschlagen hat: Der Erzählung in intensiven Bildern. So legt Amanda Hodgkinson letztlich einen Roman vor, der zwar von einem längst vergangenen Krieg erzählt, der aber wohl auf jedes vom Krieg mitgenommene Volk übertragen werden könnte, also nichts von seiner Aktualität verloren hat.

22 Britannia Road

Amanda Hodgkinson, dtv

22 Britannia Road

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