Das Haus

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2011
  • 0
  • Berlin: Suhrkamp, 2011, Seiten: 164, Originalsprache
Das Haus
Das Haus
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Tim König
201001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2011

Man ist bemitleidenswert

Das Haus" ist Andreas Maiers zweiter Roman einer auf elf Bände angelegten Reihe. Das Thema der Reihe ist die spätere deutsche Nachkriegsgesellschaft, die, es klingt vage im Buch an, Maier konservieren möchte. Dafür wählt er einen radikal subjektiven Ansatz: Das Buch spielt in Maiers eigenen Heimat, der Erzähler heißt Andreas und ist ebenso wie der Autor im Jahr 1967 geboren. Die Straßennamen sind real, Flussnamen ebenso. Die Nachbarschaft kann man sich mit Google-Earth ansehen. Es sieht nett aus, bürgerlich, geruhsam. Das Usa-Wellenbad liegt in der Nähe, die Stadtbücherei fast gegenüber, ebenso ein großer Park. Aber man ahnt es fast: So schön ist es dann doch nicht.

Es beginnt mit der Geburt: Wie alle Menschen muss er um sein Leben geschrien haben, reflektiert der Erzähler, nachdem er uns verklärende Anekdoten seiner Eltern vorgetragen und auseinandergenommen hat. Es seien Geschichtchen, mit denen man sich vor der Gesellschaft glücklich geben könnte, durchschnittlich und normal. Andreas leidet unter dieser Normalität und dem damit einhergehendem Verschweigen der Probleme: Schon das schlichte Abendbrot wird zur Qual, den Kindergarten verweigert er, die Grundschule ist ihm nicht mehr als ein animalisches und gedankenloses Treiben. Bei all dem scheint ihm die Selbstdarstellung vor der Gesellschaft zum eigentlichen, quälenden Problem zu werden, das nicht gelöst werden kann. Anders gesagt: Er hat eine Identitätskrise von Geburt an.

Insofern kann man den kontemplativ geschriebenen Roman als einzige, unabgeschlossene Selbstfindung verstehen. So werden sich viele Leser, wie auch das Feuilleton, gedankenlos in das feuchtwarme Wasserbett der Erinnerungen legen – verständnisvoll nickend, wenn in einer kurzen  Anmerkung zum Wesen der Erinnerungen das gesamte Menschengeschlecht schuldig geschrieben wird. Auf diese Weise wird sowohl die Sehnsucht nach einer authentischen, komplett erfassbaren Kindheit erfüllt. Wie auch der Reiz eines weltängstlichen Intellektuellen, alles skeptisch und negativ zu betrachten. Ohne nach Gründen zu suchen. Ohne zu denken.

Manchmal ist das vollkommen in Ordnung. Es kann wunderbar sein, sich Geschichten hinzugeben, mit dem Protagonisten mitzufühlen und -wachsen und doch in seiner eigenen Haut bleiben zu können. Auch der intellektuelle Reiz des komplexen Stils und der gesellschaftlichen Entlarvung kann wunderbar sein. Doch bei Maier wird diese entspannte Kurzsichtigkeit fatal. Denn hinter seinen Betrachtungen steckt kleingeistige Bürgerlichkeit, Deutschtümelei und ein Pessimismus, der jegliche Form der Empathie verneint. Trotz des interessanten Ansatzes.

Verdeutlichen lässt sich die oft haarstreubende Banalität der Anmerkungen zu idyllischen Landschaftsbeschreibungen an einem kurzen Geständnis: "Enten, vor allem Stockenten, sind noch immer meine Lieblingstiere." Schwieriger als diese groteske Ironiefreiheit ist, dass der Klimax des Buches in Andreas' Eingeständnis, sein "Onkel J.", einer der wenigen Sympathieträger, sei geistig behindert. Auch, wenn man es nicht immer erwarten kann: der aufgeklärte Leser sollte nicht aufschrecken, wenn er das Wort "geburtsbehindert" hört – und dennoch liegt es nahe, dass Maier die Spannung zwischen erstem und zweitem Kapitel (mehr gibt es nicht) mit dieser Enthüllung zu halten versucht. So wird Borniertheit zur Intoleranz. 

Über das grenzenlose Lob der Infrastruktur an der Uhlandstraße Bad Nauheims und die träumerischen Beschreibungen der Usa (ein real existierender Fluss nahe besagter Straße), lässt sich fröhlich hinweg lesen. Und wenn man sich die immer weiter fortschreitende Vernichtung der Einzelhändler zugunsten von großen Ketten und Malls nach amerikanischem Format anschaut, kann man etwas sentimental werden - eine Zeit, in der er Andreas beim Metzger um die Ecke noch eine Scheibe Wurst in die Hand gedrückt bekam. Die glitschige Sentimentalität selbst verliert ihren Bonbon-Status aber spätestens dann, wenn im selben Zuge das Verhältnis von Deutschen und US-Soldaten, die gelegentlich im titelgebenden Haus zu Besuch sind, als ,Herr und Untertan' beschrieben werden. Eine unangenehme Form der Heimatverbundenheit.

Die Verneinung jeglicher Empathie ist jedoch das größte Ärgernis im Buch: Sobald Andreas seine eigenen Gefühle und Empfindungen beschreibt, werden alle Register der Rhetorik gezogen: "man klagt und zittert und bibbert und ist insgesamt äußerst bemitleidenswert." Bei seinem Vater wird allerdings, wenn er einen Migräneanfall hat, nur nüchtern konstatiert, dass er gelegentlich vor Schmerzen weint oder in Ohnmacht fällt. Nein, Andreas nennt das einen "Opfergang" der erkauften Normalität. Muss wirklich jede soziale Norm gesühnt werden? 

Der Erzähler beschreibt einen frühen Zeitraum seines Lebens. Am Anfang steht die Geburt, am Ende die Pubertät, mit einer deutlichen Öffnung zur Welt versehen. Unterwegs die Dekonstruktion der spießbürgerlichen Gesellschaft der 70er Jahre. Das klingt schön und gut.

Dennoch scheitert die interessante Idee, selbst der spannende und zuweilen mitreißende Stil (der stark an Thomas Bernhard erinnert) an der Persönlichkeit des Erzählers. An einigen Stellen hebt er die Gesellschaft aus allen Fugen. An anderen ist er deutscher und bürgerlicher als Rinderrouladen.

Und damit dekonstruiert er vor allem eines: Sich selbst.

Das Haus

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