Die romantischen Jahre
- OSTERWOLDaudio
- Erschienen: Januar 2011
- 1
- Hamburg: OSTERWOLDaudio, 2011, Seiten: 6, Übersetzt: Wolfram Koch
Man nimmt immer etwas mit
Aus "Die romantischen Jahren" leider recht wenig. Vor allem den Eindruck, dass sich hier ein Autor um einen Ton bemüht, für den er in seinem preisgekrönten "Warum du mich verlassen hast" gelobt wurde. Was mitunter zu Stilblüten wie "das Schrammeln der Zikaden, das wie im Western klang" führt und sich um den naiven Blick zurück auf unbeschwerte Tage bemüht. Das nervt. Wen das Anfangskapitel "Chantal und Pauline" in seiner gestelzten Südfrankreich-Verklärung nicht abschreckt, dringt weiter in Marko Theunnissens Kosmos über Familie, Studienzeit und zum alles lebensverändernden Schritt vor, Versicherungsvertreter zu werden.
Mag seine Kleistbeschäftigung in der Studienzeit noch leidlich amüsant sein, wenn der Autor die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem "Text" beschreibt, sei es aus leninistisch-marxistischer Sicht oder individualistischem Rebellentum, wir versinken spätestens bei dem aus Torschlusspanik gefassten Übertritt in die Welt der Versicherungen in Langeweile. Wir begleiten Marko in die bleierne Welt der Bestandsagentur, in ein Leben zwischen Stammkunden und Neuverträgen, wo jede Schadensmeldung sogleich Einblicke in intimste Geheimnisse der Kunden bietet.
Auch privat läuft es nicht gerade gut rund. Ein Vater, der vergessen hat, seinen Kindern beizubringen, dass er nicht ewig für sie aufkommen will, droht der Demenz zu verfallen. Sein Wunsch die Familie zu seinem 75. um sich zu versammeln, ist eine Zumutung für diese. Die Mutter war schließlich nur solange in die Ehe eingebunden, bis die Geliebte auftauchte. Die Tochter Sonja versucht sich als Älteste überall und nirgends zu verwirklichen, bis sie in Madrid eine Zuflucht findet. Nicht zuletzt sind da Marko und sein Bruder Robert, die sich an den gesteckten Zielen des Vaters abarbeiten
Ingendaay versucht sich an der Fortsetzung. Überladen, zu sehr auf den nächsten Witz abgestimmt kommen seine Figuren daher. Nicht nur, dass der Roman viel zu weitschweifig manchen Ansatz totschlägt, es tauchen zu oft leere Hülsen wie "Jahrelang ließ ich in meinem Leben alles beim Alten", "Gegen Tiefgang habe ich nichts einzuwenden" auf.
Die Liebe gleicht eher einem Schicksalsschlag, wenn Marko plötzlich einfällt, dass er doch mit Neun in ein Mädchen verliebt war, so dass er sie unbedingt wiedersehen muss. Natürlich kommt es auch hier nur fast zum Sex. Allem haftet etwas Provinzielles an. Marko ist ein Loser, er darf sich seine kleinen Siege nur vorstellen. Wer Woody Allens Film über diese schreckhaften Helden auf der Ersatzbank kennt, hat eine Vorstellung davon, wie schwerelos so etwas beschrieben werden kann.
Sollte der Roman von einem ungelebten Leben erzählen wollen, steht er im krassen Widerspruch zum Bemühen, ihm viele bunten Seiten abzuringen. Ingendaay hat da das Pech, dass seit "Stromberg" im TV das deutsche Versicherungswesen längst seziert wurde. Seine Versicherungswelt erscheint noch einmal aufgekocht zu sein, damit wir Leser uns leidlich darüber amüsieren dürfen. Selbst wenn es zu einer Affäre mit einer verheirateten Frau, einer Erpressung durch einen Kollegen, zu den tragikomischen Nackenschlägen eines 75. Geburtstags kommt.
Auf dem Umschlag wirbt der Verlag mit zwei Fragen:
"Wie kann man die Frauen lieben und keine besitzen? Wie kann man Romantiker sein und doch Versicherungsvertreter werden?"
Eine Antwort bleibt der Autor uns schuldig. Sein Roman erscheint eher wie der Blick zurück auf ein Spiel mit einem erfundenen Leben.
Was wäre, wenn alles so ausgegangen wäre?
Paul Ingendaay, OSTERWOLDaudio
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