Glückssuche in New York
Edith Wharton war eine Frau mit vielen Facetten. Als erste Frau überhaupt erhält die amerikanische Autorin 1921 den renommierten Pulitzerpreis. Einen Großteil ihres Lebens verbringt sie in Paris, sozusagen Tür an Tür mit Gertrude Stein, F. Scott Fitzgerald oder Ernest Hemingway kürzlich in Woody Allens ´Midnight in Paris´ zu erleben. Aber sie hält Distanz zum Pariser Kreis der amerikanischen Avantgarde. Als sie 1937 stirbt, gilt sie als Grande Dame der amerikanischen Literatur, doch schon bald gerät ihre Literatur in Vergessenheit. Zu konservativ lautet das Urteil.
Es bedurfte wohl erst Neuverfilmungen wie Zeit der Unschuld von Martin Scorsese 1993 und gesellschaftlichen Entwicklungen wie "Neuer Bürgerlichkeit" und "Cocooning", um ihre kluge, heiter-kunstvolle Literatur in neuem Licht erscheinen zu lassen.
Die deutsche Erstveröffentlichung von Hudson River Bracketed im Manesse Verlag bietet nun eine wunderbare Gelegenheit, die Autorin Edith Wharton in all ihren Facetten neu zu entdecken.
Die Story
Auf der Suche nach seinem persönlichen Glück zieht es den jungen, etwas tölpelhaften Vance Weston aus der amerikanischen Provinz ins New York der Roaring Twenties. Dort will er seinen Schriftstellertraum vom Guten,Wahren und Schönen leben.
Seine Lehrjahre führen ihn zunächst in ein altes, leerstehendes Haus am Hudson River, im historisierenden Stil der untergegangenen Aristokratie erbaut. Hier begegnet Vance dem Geist der einstigen literaturliebenden Besitzerin des Hauses und spürt erstmals die Schönheit der Beständigkeit angesichts einer Welt, die ´tagtäglich eingerissen und neu aufgebaut´ wird.
Und er begegnet Halo Spear, einer Wahlverwandten im Geiste, die ihn, wie Vergil in Dantes Göttlicher Komödie, an die Hand nimmt und ins Reich der Kunst und Literatur einführt. Doch das Schicksal hält für die beiden eine schwere Prüfung bereit. Unversehens finden sie sich an andere Partner gebunden.
Mit leisem Humor entfaltet Edith Wharton eine spannende und bewegende Geschichte, in der sich die Lebenswege der beiden Paare immer wieder kreuzen und Vance versucht, sich im New Yorker Literaturbetrieb zu behaupten.
Die Modernität
Dass Ein altes Haus am Hudson River, 1929 erschienen, so überraschend modern wirkt, verdankt es nicht nur dem klaren, präzisen Stil der Autorin, den Andrea Ott wunderbar ins Deutsche übertragen hat. Als kluge Beobachterin gesellschaftlicher Normen und Regeln führt Edith Wharton dem Leser auch überaus plastisch die bis heute gültige ´Religion des Geschäftslebens´ vor Augen. ´Das Wichtigste im Leben war der Fortschritt und das Oben-Ankommen, und oben hieß immer und ausschließlich: wo Geld war.
Auch das Geschäft mit der Literatur, in dem Vance Weston unbeirrt von materieller Not und gesellschaftlichen Forderungen Fuß fassen will, scheint nicht so anders zu sein als heute. Knebelverträge, zweifelhafte Literaturpreisvergaben, moderne Bohème und gebildete Elite sind die Realitäten, an denen er sich abarbeiten muss. Von den Publikumserwartungen ganz zu schweigen.
Zeitlose Charakterstudien
Unvergleichlich aktuell wirkt der Roman auch, weil Edith Wharton weniger an realistischen Schilderungen interessiert ist, sondern in erster Linie an der Darstellung der ´menschlichen Komödie und Tragödie´. Sie versteht es, ihren Figuren eindringliche, lebendige Konturen zu verleihen. Beeindruckend, was sie dem heutigen Leser über die emotionale Intelligenz ihrer Charaktere, etwa die Bedeutung von ´feinfühliger Teilnahme´ und ´aufmerksamem Verstehen´ zu sagen hat.
Malerische Schilderungen
Überaus lesenswert macht den Roman zudem Whartons betörend bildhafter Stil. So scheint Halo Spear einem impressionistischen Gemälde entsprungen: ´In seiner Erinnerung wurde sie wieder zu einem dunkelhaarigen Mädchen mit nachdenklichen Augen und lebhaften Lippen, das sich zurücklehnte, den Hut beiseitewarf, die nackten Arme hinter dem Kopf verschränkte und ihm mit freundlichen Fragen zusetzte´.
Und wenn Vance ganz im kreativen Flow aufgeht, entsteht vor dem inneren Auge des Lesers ein Gesamtkunstwerk aus Meeresrauschen, Beethovens Schicksalssymphonie und romantischem Naturerleben: ´Die sprachlosen Tiefen erwachten beim Aufbranden dieser Töne, so wie damals beim Aufbrausen des Meeres oder bei dem leidenschaftlichen Gemurmel, das Liebende einander in die beglückten Herzen wispern ... Wieder schloss er die Augen, und die vielgestaltigen Fluten schlugen über ihm zusammen.´
Ein altes Haus am Hudson River ist ein kluger, kunstvoller und mit leisem Humor erzählter Roman. Genau das richtige Buch also, um es sich an kalten Winterabenden auf dem Sofa oder im Sessel vorm Kamin gemütlich zu machen und die überraschend moderne Welt der Edith Wharton neu zu entdecken.
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