T.C. Boyle-Swing.
Das Problem kennen wir. Wer einen Garten besitzt, in dem sich ein Maulwurf wohlfühlt, denkt sogleich darüber nach, wie er ihn am besten vergiftet, ausräuchert, in Fallen fängt, um ihn anschließend zu erschlagen, oder gleich Benzin in den Gängen anzündet. Schließlich gibt es da noch den friedfertigen Nachbarn, der stundenlang auf der Terrasse sitzt, um bei der kleinsten Bewegung in einem Erdhaufen, mit einer nagelbestückten Keule, den Maulwurf aufzuspießen.
Wie hat es die Welt überhaupt geschafft, zu überleben, bevor der Mensch sich erkoren fühlte, regulierend einzugreifen, fragt T.C. Boyle in seinem neuen Roman. Da gab es einmal auf Guam die Braune Nachtschlange, die die Vögel auffraß und deren Ausrottung dazu führen sollte, das ökologische Gleichgewicht wieder herzustellen. Eine Schlange, die auf keinen natürlichen Feind traf, wurde zur Plage. Als nun die Insel Anacapa vor der Küste Kaliforniens, von Ratten befallen wird, die sich auf ähnliche Weise an den Vogelnestern zu schaffen machen, bleibt für die zuständige Behörde nur eins: alle vergiften. Wer mag schon Ratten? Den ein oder anderen tierischen Kollateralschaden nehmen sie billigend in Kauf.
Es sind die selbsternannten Retter dieser Welt, die sich in "Wenn das Schlachten vorbei ist" gegenseitig ins Gehege kommen. Die einen beabsichtigen, die Ratten mittels dem kleinst möglichen Schmerz zu vergiften, um für einen Ausgleich innerhalb der Natur zu sorgen, die anderen setzen sich für die Ratten ein. Ratten sind schließlich auch Tiere. Und wer darf darüber entscheiden, ob ein Vogel oder eine Ratte leben darf? Wer räumt den Menschen das Recht ein, Schafe abzuschießen, deren Überbevölkerung dazu führt, dass sie eine Insel kahl fressen?
Was wäre, wenn die Menschheit die Welt sich selber überlassen würde? Wie damals, bevor es die Menschen überhaupt gab, wird ausgerechnet die sendungsbewusste Alma Boyd Takesue, die selbsternannte Retterin bedrohter Tierarten in einer der öffentlichen Diskussionen gefragt?
T.C. Boyle erzählt erneut eine Geschichte darüber, wie Menschen Gutes beabsichtigen und Schaden anrichten. Zum Beispiel packen sie neuerdings ihre Hundescheiße in Plastiktüten ein, die dann irgendwo auf dem Müll landen und in tausend Jahren von Archäologen ausgegraben werden. Wer hat schon Lust in Hundescheiße zu treten? Es ist die Ordnung der Menschen, der die Tiere dieser Welt Folge zu leisten haben.
Wie T.C. Boyle innere Zweifel, Selbstbetrug und das Reinwaschen jeglichen Skrupels zu beschreiben vermag, zeigt sich in einer Szene vor Gericht. Wenn gegen den durch eine Katharsis berufenen Rattenretter David Francis LaJoy wegen unerlaubtem Betreten von Anacapa verhandelt wird. Eigentlich beabsichtigte er, die Ratten gegen das Gift zu immunisieren, das ein paar Tage später über der Insel verstreut werden sollte. Aber leider kam ihm der Regen dazwischen und löste das Mittel auf. Einmal mehr betreibt Boyle hier das Spiel mit dem Absurden. Der Mann wird lediglich wegen des ungeheuren Gesetzesverstoßes angeklagt, sich über das Verbot hinweg gesetzt zu haben, die Insel zu betreten. Während das Wetter die Natur davor bewahrt, dass der Mensch sie rettet. David Francis LaJoy, erfolgreicher Geschäftsmann mitsamt permanenter Sinnkrise, hofft einen Schauprozess zu initiieren, um sein oberstes Gebot: Du sollst keine Tiere töten, in die Welt hinaus zu posaunen. Nur sitzt er vor seinem Richter und verfällt den Erinnerungen an sein Leben. Sie gleichen einer Achterbahnfahrt. Am Ende könnten wir Mitleid mit ihm und seiner Verbohrtheit haben.
Nur wem sollen wir uns in diesem Roman als Leser anvertrauen? Alma Boyd Takesue etwa, die wissenschaftlich fundiert, die Natur zu säubern beginnt und selbstherrlich auswählt, was, wie getötet, was leben darf?
In vielen seiner Romane fesselt T.C. Boyle seine Leser, indem er sich nicht nur ein Thema aneignet, er schaut, hört, riecht mit seine Figuren mit, stellt deren Leben in den Widersprüchen so plastisch dar, dass wir einen schillernden Eindruck von Ungerechtigkeit, Widersprüchen und schamloser Lächerlichkeit bekommen. Jeder hat ein bisschen Recht, jeder ein bisschen Unrecht. Und eigentlich ist immer unsere Kindheit an allem Schuld. T.C. Boyles Helden sind immer nur das, was sie einmal waren. Was sie ersehnt, erhofft, was in ihrem Leben falsch gelaufen ist. Sie sind sich selbst ausgeliefert, können nicht anders. Selbst wenn sie mit dem Leben am Ende dafür bezahlen müssen und - um die Farce auf die Spitze zu treiben - als Leiche im Wasser der Scorpian Bay treiben und die Fische ihnen das Fleisch vom Knochen knabbern.
Bei David Francis LaJoys erstem Kontakt mit den Fotos in einer Broschüre gegen Tierschlachtung, würde man am liebsten selber zum Vegetarier werden. Wer wird da nicht zum Fanatiker, wer wandelt sich da nicht vom Elektroverkäufer wie LaJoy zum Aktivisten? Er verzichtet auf Fleisch und gesteht sich wegen des Eiweißbedarfs trotz Käfighaltung als einziges Eier zu. Ein Unding für jeden Veganer. So dass auch hier der verbohrteste Eiferer nicht das Ende der Fahnenstange erreicht.
Nach dem Kampf ist vor dem Kampf. Ist die Schlacht um die Rattenvernichtung verloren, der Gerichtsprozess mit Freispruch überwunden, geht es auf nach Santa Cruz, um dort das Abschlachten von fünftausend wilden Schweinen zu verhindern. Die Welt zu retten, ist ein Full-Time-Job, und der Hass auf den jeweiligen Widersacher, wächst mit der Anhäufung von Niederlagen.
Nach Jonathan Safran Foers "Tiere essen" gelingt es T.C. Boyle in "Wenn das Schlachten vorbei ist" den Kreis weiter zu ziehen und den Menschen als jemanden zu beschreiben, der nur an sich interessiert ist.
Gut, dass unsere Geschichte auf Erden endlich ist.
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