Sire, ich eile

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2012
  • 1
  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 2012, Seiten: 143, Originalsprache
Sire, ich eile
Sire, ich eile
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Wolfgang Franßen
701001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2012

Spärlich

Hans Joachim Schädlich kennt sich mit den Fallstricken der Obrigkeiten aus. Er weiß aus eigener Erfahrung in der vormaligen DDR, wie leicht man zu Fall kommen kann, wenn man den Vorstellungen der Machthaber nicht entspricht. Mit der Veröffentlichung von "Versuchte Nähe" stellte er sich in den 70er Jahren vollends ins Abseits. Was letztendlich dazu führte, dass er einen Ausreiseantrag stellte. Für einen solchen Schriftsteller muss der Philosoph Voltaire ein Wesensverwandter sein. Immer auf der Flucht mit den eigenen Wahrheiten im Gepäck.

Der Einstieg in seine Novelle "Sire, ich eile", ist etwas mühselig. Unzähligen Namen begegnen wir, die sich ihre Bedeutung am Hofe Ludwig XV. sicher sind. Wichtig ist, wen man kennt, noch wichtiger, dass derjenige einen nicht verleugnet, gar fallen lässt. Ein Philosoph, der nebenher Papierfabrikant ist, darf sich seiner Sache nie sicher sein. So gelingt es Schädlich uns gleich zu Anfang ein Gefühl davon zu vermitteln, was es am französischen Hofe hieß, sich Einfluss zu verschaffen, um nicht einfach davon gejagt oder wie in Voltaires Fall zuweilen eingekerkert zu werden.

Mit Émilie du Chatelets Eintreten in Voltaires Leben ändert sich alles. Obwohl sie die Ehefrau des Marquis du Chatelet-Lomont, die Geliebte Richelieus und nun Voltaires ist, besitzt sie etwas, was den meisten Mätressen abgeht: sie ist intelligent, neugierig und empfindet sich als geistiges Wesen. Sie betreibt ihre eigenen Forschungen, während es Voltaire passieren kann, dass er nach draußen gerufen, um von den Schergen eines Widersachers zusammengeschlagen zu werden. Heute ist es kaum vorstellbar, welche Brisanz und Gefahr Voltaires Arbeiten beschworen. Nur weil er seine Gedanken veröffentlichte. Womit wir wieder bei Schädlichs eigenen Erfahrungen angelangt wären.

Es ist die Zeit der Aufklärung, mit der sich sogar Monarchen schmücken. In Preußen spielt Friedrich II. nicht nur die Flöte und vergrößert durch Kriege seinen Einflussbereich, er schmückt sich auch gerne mit Gelehrten. Es lässt sich so wunderbar debattieren. Hier ruhen die Wurzeln eines Umbruchs, der Europa in den nächsten Jahrhunderten ergreifen und zutiefst verändern wird. Schädlich beschreibt dies kühl, distanziert, gewohnt ohne psychologischen Tiefgang. Emotionen spielen sich in "Sire, ich eile" eher in einer theatralen Szenerie wieder. Mitunter glaubt der Leser, sich in vorbiografischen Umrissen, skizzenhaftem Ambiente zu bewegen, in denen viele Namen mit vielen Fäden in den Händen spielen.

Einen Sog entwickelt die Geschichte erst, als Friedrich II. und Voltaire schriftlich in Kontakt miteinander treten, jeder auf seine eigene gespreizte Weise den anderen für sich zu gewinnen sucht. Wobei Voltaire der Klügere und Friedrich der Machtbessenere ist. Natürlich kann sich der Philosoph nicht den Wünschen eines der mächtigsten Herrscher in Europa entziehen, aber er folgt eigenen Interessen. "Sire, ich eile" ist das Kammerspiel zweier Egomanen, die sich anziehen und einander fremd bleiben. Nicht ohne Berechnung flüchtet Voltaire, in Frankreich in Ungnade gefallen, in Friedrichs Arme, der wiederum glaubt, ihn nun zu besitzen. Ein Trugschluss.

Die Novelle besitzt in Deutschland eine lange, literarische Tradition, auch wenn sie seit dem Einbruch der Postmoderne kaum noch eine Rolle spielt. Einen Hype erlebte sie mit Martin Walsers "Das fliehende Pferd". Warum Schädlich sich den Regeln dieser literarischen Gattung unterwirft, wird lange Zeit nicht klar. Zumal er eine Vielzahl von Nebenschauplätzen wie Darstellern aufbietet, die den engen Rahmen eines einzigen Ereignisses sprengen, um sich der genauen Auflistung der historischen Fakten hinzugeben.

Letztlich jedoch nähert sich Hans Joachim Schädlich zum 300. Geburtstag des Preußenkönigs einem Faszinosum. Zwei Männer, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, legen aus Eitelkeit Wert darauf, voneinander beachtet zu werden.

Sire, ich eile

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