It's in his kiss
Wer noch nie an einen Seitensprung gedacht hat, ist ein Lügner. Nicht umsonst fand das Begehren Aufnahme in die zehn Gebote. Was wiederum bedeutet, dass die Lust sich wohl kaum kontrollieren lässt. Nicht umsonst dreht sich die "Herz-Schmerz-Industrie" der Verlagswelt auflagenträchtig um die Verwerfungen der Liebe. Allerdings dringt sie in Anne Enrights neuem Roman "Anatomie einer Affäre" nicht mit der Wucht eines Amour fous oder eines verhängnisvollen Fehlers ein, der bereits am nächsten Morgen bereut wird. Gina wirft bei der ersten Begegnung mit Sean auf der Gartenparty ihrer Schwester ein Auge auf ihn und damit hat sich’s. Es bedarf der alkoholisierten Aufgeräumtheit einer Messenacht, dass da zwei gleichermaßen im Seitensprung Erprobte miteinander ins Bett hüpfen, um sich etwas Sex zu gönnen.
Anne Enrights Sprache, ihre Momente des Zögerns, des Fallenlassens vermeiden jegliches Klischee. Wenn sie vom Leben erzählt, dann von unser aller Schwierigkeiten mit Familie, Freund oder Ehemann. Da wird nicht zynisch seziert, das, was nicht stimmt, ist halt so und wird auch so hingenommen. Die Liebe erscheint wie ein Konzept, wie das Versprechen, sich einigermaßen über die Runden zu schleppen, ohne die Freude am Leben zu verlieren. Gina bemerkt bald, dass dieser Mann, dieser Sean, sie merkwürdigerweise anzieht. Sie nutzt eine berufliche Chance, ihn als Unternehmensberater in ihre Firma einzuschleusen. Ohne sich darüber bewusst zu sein, dass sie bereits den nächsten Schritt auf dem Weg vom One-Night-Stand zu einer Affäre setzt. Es ist das Prickeln, das Spiel mit der Möglichkeit, das unweigerlich dazu führen wird, dass alles auffliegt.
Der deutsche Titel des Romans "Anatomie einer Affäre" setzt im Gegensatz zum englischen "The Forgotten Waltz" weniger auf die Poesie der Verwirrung als auf das Bloßlegen des Kerns jeglicher Liebschaft. Es ist leider nicht das leidenschaftliche, kopflose Verfallen eher die nüchterne Verlockung, die Sean interessant macht. Als Gina nach mehreren Treffen in Hotels mit ihm einer Einladung seiner Frau nach Hause nachkommt, dringt sie in den innersten Kreis vor, in das, was Sean neben dem Sex ausmacht. Und so kann sie nicht anders, sie sieht sich im Haus um und dringt ins weiße Schlafzimmer des Ehepaars vor. Ein fremdes Leben, an dem sie doch teilnimmt. Außerdem begegnet sie seiner Tochter, die unter Anfällen leidet und deren Epilepsie, Seans Leben ebenso beeinträchtigt, wie Ginas Kindheit mit einem Alkohol verfallenen Vater weiterhin ihr Leben belastet.
Wie weit gehen? Warum sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen? Warum sich auf ein Abenteuer einlassen, von dem Gina nicht weiß, wo es sie hinführen wird. Die 1962 in Dublin geborene Anne Enright, deren fulminanter Roman "Das Familientreffen" angesichts eines Begräbnisses bereits am Rande mit der Frage spielte, was man machen sollte, wenn einem mitten in einem anderen Leben die große Liebe begegnet, beantwortet diesmal die Frage anders als die Großmutter im preisgekrönten "Familientreffen", die aus Vernunftgründen verzichtete. Gina wird sich einlassen und richtet ein Drama an.
Nicht selten verteidigen wir uns nach einem Seitensprung mit den Worten, ich hatte "mich halt verliebt". Und schieben der Liebe die Schuld zu, weil sie uns aus der Bahn geworfen hat. Und sei es nur für ein paar Stunden in einem Hotelzimmer. Es ist etwas Banales, dem Gina verfällt. So aufreizend wie die Kapitelüberschriften, deren Schlagernamen allesamt klingen, als plärrten sie gerade aus dem Radio. Wie Sean küsst, wird Gina letztendlich zum Verhängnis werden und zwei Ehen in die Brüche gehen. Das Fatale, Enright beschreibt ihre Figuren so, dass der Leser spürt, dass es nicht gut ausgehen wird. Es fehlt das Gemeinsame, das den Geburtsfehler übertünchen kann. Schließlich lassen sie sich nur aufeinander ein, weil sie ihr bisheriges Leben satt haben.
Affären enden allesamt in Gewissensbissen, die es zu überwinden gilt, in Vorwürfen, die entkräften werden wollen, in Schuldgefühlen den Kindern gegenüber. Letztendlich soll dann eine Trennung her, die den gordischen Knoten zerschlägt, um einen Status Quo zu beheben. Nicht anders ergeht es Gina und Sean.
Für sie lauert bereits hinter dem ersten Blickwechsel auf der Gartenparty der Alltag, den sie mit einem neuen Anstrich überziehen werden. So verschiebt Anne Enright die Furcht vor einem lähmenden Leben von einem Haus in das nächste. Der Mann heißt von nun an nicht mehr Connor sondern Sean. Und die Frau nicht mehr Aileen sondern Gina. Wenn sie Glück haben, lässt der Reiz nach, eine Affäre zu haben, und sie bleiben zusammen, bis der Tod sie scheidet.
Nichts brennt so sehr, wie der Moment, indem sich das Verbotene anbahnt. Für ein paar Minuten denken wir, alles wir gut. Anne Enright erzählt davon, dass dem nicht so ist.
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