Das Narrenschiff
- Boston: Little, Brown, 1962, Titel: 'Ship of fools', Originalsprache
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1963, Seiten: 606, Übersetzt: Susanna Rademacher
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1971, Seiten: 507
- Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1987, Seiten: 507
- Zürich: Manesse, 2010, Seiten: 699, Bemerkung: kommentierte Neuausgabe; Nachwort von Elke Schmitter
Faszinierend, bedrückend, beängstigend und sehr lesenswert
Im August 1941 legt das deutsche Passagier- und Frachtschiff "Vera" in Veracruz, Mexico, ab. An Bord ist eine bunt gemischte Gesellschaft von unterschiedlichen Charakteren, die meisten davon Deutsche, aber auch Amerikaner, Schweizer, ein Schwede, Spanier, Kubaner und Mexikaner haben eine Passage in der oberen Klasse gebucht. Außerdem befinden sich im Zwischendeck noch 876 spanische Zuckerrohrarbeiter an Bord, die von Kuba zurück auf die Kanarischen Inseln oder aufs spanische Festland gebracht werden sollen.
Die Abgeschlossenheit dieses Schiffs hat Katherine Anne Porter als Schauplatz ihres Romans, an dem sie zwanzig Jahre schrieb, gewählt und sie hat gut daran getan. Denn durch die Beengtheit des Raums und die fehlenden Ausweichmöglichkeiten lernen sich die Passagiere zwangsläufig besser kennen, als ihnen das lieb ist und unterschwellige Konflikte haben reichlich Zeit, zu schwelen und schließlich hervor zu brechen.
Die unterschiedlichen Charaktere, ihre Beziehungen zueinander und die sich daraus ergebenden Interaktionen skizziert die Autorin messerscharf und treffend und breitet damit ein Panorama menschlicher Abgründe vor dem Leser aus. Dabei werden sowohl die Figuren als auch ihre Handlungen überspitzt und klischeehaft dargestellt, so dass es manchmal surreal wirkt, doch gerade das macht die Eindringlichkeit des Romans aus.
Obwohl Porter in einer klaren Sprache schreibt, fordert einen das Buch trotzdem als Leser ganz schön. Es ist nichts, das man einfach so weg lesen könnte, das nebenbei mitläuft. Nein, man muss die Zeit und die Bereitschaft aufbringen, sich völlig darauf einzulassen. Man muss mitdenken, kann sich nicht einfach nur ein paar Stunden leichten Zeitvertreib gönnen. Das ist sicherlich nicht jedermanns Sache.
Was es einem als Leser auch ab und an nicht gerade einfach macht, bei der Stange zu bleiben, ist die Tatsache, dass es keinen wirklich sympathischen Charakter gibt. Kaum ein Passagier auf diesem Schiff, den man gerne kennenlernen würde. Doch genau da liegt auch ein Teil des Reizes des Buchs, denn was damals galt, gilt heute auch noch. Denn die Arroganz der reichen und besseren Gesellschaft gegenüber schlechter Gestellten, das Gefangensein in unglücklichen Beziehungen, aus denen man sich nur schwer befreien kann und auch, wenn auch nicht mehr so ausgeprägt wie damals, der Antisemitismus und der Fremdenhass – das alles findet man auch heute noch und das nicht zu knapp. Bemerkenswert auch, dass Katherine Anne Porter sich getraut hat, knapp zwanzig Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges und des Holocaust ihren einzigen jüdischen Passagier ebenfalls unsympathisch darzustellen. Er kann es mit Intoleranz, Engstirnigkeit und Überheblichkeit leicht mit allen anderen aufnehmen.
Narrenschiff ist definitiv ein lesenswerter Roman, der einem die Abgründe menschlichen Verhaltens gnadenlos vor Augen führt. Voraussetzung hierfür ist, dass man keine sympathische Identifikationsfigur braucht und dass man sich voll und ganz auf ein Buch, auf einen Text einlassen kann und will. Doch dann wird man mit einem ungewöhnlichen und faszinierenden Werk belohnt.
Lobend sollte man auch die Ausstattung der Neuauflage (die übrigens keine Neuübersetzung ist) erwähnen. Ein Personenregister erleichtert einem den Einstieg doch sehr und es sind insgesamt 119 Kommentare im Anhang zu finden, die Zusammenhänge erklären oder auch einfach nur übersetzen. Abgerundet wird das Ganze durch ein ausführliches Nachwort der Autorin und Journalistin Elke Schmitter.
Katherine Anne Porter, Rowohlt
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