Erholung finden in der Freakshow
Kaputt. Ausgebrannt. Defekt. Einfach nicht mehr funktionsfähig. Milena Winter sitzt an einem beliebigen Arbeitstag im Büro, starrt auf ihren Computer – und schaltet ihn dann einfach ab und geht nach Hause. Ihren vorerst letzten Arbeitstag – was sie zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt – beendet sie ohne schlechtes Gewissen. Den Rest des Tages erlebt sie wie in Trance, am Ende steht die Einweisung in eine psychosomatische Klinik.
Der Erstlingsroman von Eva Lohmann schildert den Alltag in dieser Klinik, denn Milena Winter, genannt Mila, ist ihr "Alter Ego" in diesem Buch. Aber es geht nicht nur um die Klinik und ihre Mitpatienten, sondern vor allem um Milas Gefühle und Empfindungen. Die Autorin geht mit der ungewöhnlichen, skurril anmutenden Ausgangslage auf ganz eigene Weise um. Sie verwendet einen zuweilen mehr als flapsigen Tonfall, wohl auch deshalb, um die Erfahrungen so besser verarbeiten zu können.
Schon der Titel Acht Wochen verrückt signalisiert dabei ihre Art des Umgangs mit dem Thema. Denn die Frage stellt sich, ob das überhaupt treffend ist? Ist man verrückt, wenn man wegen eines Burnouts in eine Klinik kommt, um dort Ruhe zu finden und nach den Ursachen zu suchen? Verrückt, psychisch ausgelaugt, gestört – was auch immer. Die sprachliche Beschreibung ist zweitrangig, das lernt Mila in der Klinik ziemlich schnell. Dabei kam ihr Kollaps keinesfalls aus heiterem Himmel, sondern deutete sich über die Monate und Jahre bereits an. Die Amphore war an diesem Tag einfach voll, angesammelt hatte sich schon länger mehr als genug. Die Diagnose Depression/Burnout ist nur das Ende einer langen Spirale, die immer schneller in dunkle Tiefen führte.
Der Roman liefert dem Leser eine ebenso unterhaltsame wie nachdenklich machende Beschreibung der neuen Lebensumstände in der Klinik. Abgeschnitten von den Sorgen des Alltags – Arbeit, Haushalt, Sorgen, Freunde – lernt Mila viele Menschen mit ähnlichen Problemen kennen. Da ist ihre Mitbewohnerin Clara, magersüchtig und nur noch Haut und Knochen. Und es gibt Ron, ein Familienvater mit zuweilen geschminkten Lippen und Frauenkleidern. Er fühlt sich als Frau im Körper eines Mannes. Noch skurriler wirkt Maria auf Mila, denn in ihrem Körper stecken gleich mehrere Persönlichkeiten.
Im Zuge der tränenreichen Therapie-Sitzungen bei Milas persönlichem Therapeuten Dr. Hennings beschreibt Eva Lohmann akribisch die ersten Symptome, die bereits vor Jahren auftauchten. Freunde waren nervig, wurden Mila gleichgültig. An Partys hatte sie keinen Spaß mehr, eine Beförderung mit verbundener Gehaltserhöhung löste keine echte Freude aus, war Mila ebenfalls eher gleichgültig.
Während in ihren Gesprächen mit dem Arzt so langsam die Ursachen für ihre Erkrankung an die Oberfläche geholt werden, erlebt Mila den Klinikalltag scheinbar aus der Beobachterrolle. In den Gruppensitzungen gibt es merkwürdige Eifersüchteleien, es wird unter den Patienten getratscht was das Zeug hält, und besonders unterhaltsam sind immer wieder die bizarr anmutenden Begegnungen mit Menschen außerhalb der Klinikwelt.
Die Autorin verarbeitet mit ihren zum Roman gewordenen Tagebuchaufzeichnungen nicht nur das Erlebte und ihre eigene Erkrankung, sondern will Betroffenen eine Stimme geben, und allen Gesunden zeigen, dass man vor Menschen mit einer psychischen Krankheit keine Angst oder Scheu haben muss. Denn Lohmann hat die Erfahrung gemacht, dass man in einer psychosomatischen Klinik auf im Grunde recht normale Menschen trifft. Es ist nur etwas aus dem Lot geraten, es gibt Blockaden, die es zu lösen gilt. Bei Mila führt die Suche nach den Ursachen ihrer Krankheit weit in die Vergangenheit. Der Klinikaufenthalt wird so zu einer Reise in die eigene Psyche. Das Ganze ist durchaus eine Grenzerfahrung, vor allem die Gruppentherapie ist ein absoluter Gegensatz zu den Einzelsitzungen. Zu ihrem Therapeuten baut Mila schnell ein Vertrauensverhältnis auf, in der Gruppe fühlt sie sich eher unwohl.
Ansonsten zeigt sich die Klinik als eine Art "Käseglocke", deren besondere Situation von den Patienten höchst unterschiedlich genutzt wird. Einige fühlen sich unwohl, andere sehen den Aufenthalt als Chance zur Genesung. Eine Gemeinsamkeit zwischen vielen Patienten findet Mila ziemlich schnell heraus: Fast alle behalten ihre Erkrankung, welcher Art auch immer, im persönlichen Umfeld für sich. Da werden komplette Legenden gestrickt, um den Aufenthalt in der Klinik zu verheimlichen. So hat Mitpatientin Katharina ihren Freunden erzählt, sie sei beruflich in Paris unterwegs. Und jetzt macht sie sich Sorgen, weil viele Freunde eine Postkarte von ihr erwarten.
Die wichtigen Fragen kommen schließlich auch irgendwann auf den Tisch. Was macht der Aufenthalt in der Klinik mit mir? Wie geht es danach weiter? Wie wirkt sich das alles auf meine Beziehung aus? Eva Lohmann legt viele Karten auf den Tisch, aber sicher behält sie einige persönliche Details auch für sich – oder gibt Mila nicht alle Einzelheiten ihrer Geschichte mit auf den Weg. Die Autorin will nach eigener Aussage mit ihrem Buch anderen Menschen Mut machen. Sie hat einen Roman geschrieben – kein Sachbuch. Das ist Eva Lohmann schon wichtig, denn an einigen Stellen hat sie aus dramaturgischen Gründen eben auch ihre dichterische Freiheit genutzt. Die Botschaft, dass man den Aufenthalt in einer Klinik als wichtige Auszeit begreifen und nutzen sollte, kommt gut rüber. Die Geschichte ist unterhaltsam, authentisch und macht doch auch nachdenklich. Das gut lesbare Erstlingswerk wird demnächst auch als Kinofilm zu sehen sein, vorher kommt im Herbst 2012 der zweite Romane von Eva Lohmann in die Buchhandlungen. Man darf gespannt sein.
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