Der irische Freund
- Luchterhand
- Erschienen: Januar 2011
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- London: Fourth Estate, 2010, Titel: 'Hand in the fire', Seiten: 278, Originalsprache
- München: Luchterhand, 2011, Seiten: 284, Übersetzt: Henning Ahrens
Der schmale Grat zwischen Freundschaft und Verrat
Der serbische Bautischler Vid Ćosić, der nach Irland ausgewandert ist, versucht in seiner neuen Heimat Fuß zu fassen und sich der Sprache, der Menschen, der irischen Gebräuche anzunehmen.
Durch Zufall lernt Vid den jungen irischen Anwalt Kevin Concannon kennen, als er dessen Handy auf der Straße findet und freundet sich mit ihm an. Kevin Concannon ist ein charismatischer Beau, der sich seiner Ausstrahlung überaus bewusst ist. Wie die Motten um das Licht flattern, so scharen sich Frauen und Männer um Kevin, sind von seinem unbeschwerten Wesen gefesselt, lassen sich von seiner Freundschaft tragen, bis er sie einfach fallen lässt. Kevin kennt nur schwarz oder weiß, alles oder nichts.
Schon die Freundschaft ist in jedem Land anders, erzählt der schüchterne Vid gleich zu Beginn. An manchen Orten muss man sie wie eine Balkonbepflanzung sorgfältig pflegen – in Irland jedoch scheint sie wild zu wachsen.
"In diesem Land ist die Freundschaft einmalig, ich kenne nichts Vergleichbares. Sie kommt aus dem Nichts. Mit voller Wucht. Ganz oder gar nicht."
Kevin integriert Vid kurzerhand in sein Leben, stellt ihm seine Freundin vor und bittet ihn, im Haus seiner Mutter ein paar Holzreparaturen auszuführen. Dort lernt Vid auch Kevins jüngere Schwestern Ellis und Jane kennen. Und er spürt sofort, dass diese Familie ein altes Geheimnis hegt, dass die Zerrissenheit, Wut und Traurigkeit, die von der gerade volljährig gewordenen Ellis offen ausgelebt werden und die sich immer öfter auch in Kevins Gefühlswelt offenbaren, vom Verlust ihres Vaters herrühren, der die Familie sehr früh im Stich ließ und auswanderte.
Doch auch Vid hat seine Geschichte und versucht, seine schmerzliche Vergangenheit in Serbien zu vergessen. Er ging fort aus einem kriegsgeschundenen Land, wo sein Vater im Krieg bei der Geheimpolizei arbeitete und seine Eltern bei einem tragischen Unfall ums Leben kamen. Vid spürt, dass er ähnlich zerrissen ist wie Kevin, der in einem Land aufwuchs, dessen Vergangenheit nicht weniger zerklüftet ist, als die seiner Heimat. Und dass auch in Irland die Menschen vor Schatten aus ihrer Vergangenheit flüchten.
Immer wieder wird vom Autor die Geschichte der ertrunkenen Schwangeren Mary Concannon eingeknüpft, die vor einhundert Jahren im Meer ertrank, weil sie ein uneheliches Kind erwartete und die Dorfgemeinschaft sie daraufhin in den Freitod drängte oder sogar selbst Hand anlegte. Das Unglück dieser entfernten Verwandten der Concannons scheint wie ein schlechtes Omen, das bis in die Gegenwart reicht. Die ewig tragische Rolle der Familie Concannon in der Gemeinschaft wird durch die Geschichte dieses ertrunkenen Mädchens offenkundig.
Obwohl Vid sich anfangs wie ein Eindringling vorkommt, beginnt ihn Kevins Familie mehr und mehr zu interessieren und in ihm wächst der starke Wunsch, dazu zu gehören und Kevin mit seinem Vater zu versöhnen. Zu spät merkt er, dass er das ganze Gegenteil erreicht und dass ihm plötzlich der unverhohlene Zorn der ganzen Familie entgegenschlägt.
Nach einer heftigen Schlägerei bei einem Pub-Besuch geht Vid mit Kevin einen geheimen Pakt ein - einen Pakt, der sein Leben in Irland verändern wird. Denn er muss erkennen, dass alle Versuche, sich in seiner neuen Heimat zu integrieren und die dortigen Vorurteile gegen Migranten wie ihn zu überwinden, zum Scheitern verurteilt sind.
Hugo Hamilton, der 1953 als Sohn eines irischen Vaters und einer deutschen Mutter in Dublin geboren wurde, sieht sich selbst als halb irisch und halb deutsch an und kann schon aufgrund seiner eigenen Erlebnisse die Unsicherheit von Migranten in Irland gut transportieren. Bevor er sehr erfolgreich Kurzgeschichten und Romane veröffentlichte, arbeitete er als Journalist. Seine bisher größten Erfolge sind seine autobiografischen Romane "Gescheckte Menschen" und "Der Matrose im Schrank", mit denen er viel Aufsehen erregte und in denen Hamilton über seine verwirrende Kindheit ohne richtige Zugehörigkeit berichtet.
Mit "Der irische Freund" hat Hamilton nun eine vortreffliche Charakterstudie zweier völlig gegensätzlicher Männer vorgelegt, die beim Lesen einen konsequenten Sog entwickelt. Durch die bildhafte Sprache Hamiltons erhält der Roman einen wunderbaren Rahmen, ohne dass das Leben auf der "grünen Insel" verklärt wird. Auch wird Hamiltons eingestreuter Humor dem Leser so manches Lächeln entlocken.
In seinem neuen Werk geht es um viel mehr, als um einen Migranten, der nach einer neuen Heimat sucht. Es geht um den schmalen Grat zwischen Freundschaft und Verrat, der das Leben eines jeden von einem Moment auf den anderen verändern kann.
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