... bis dass der Tod Euch scheidet
Er ist ein sterbender Mann, sie steht mitten in der Blüte ihres Lebens: Als Franz Kafka seiner großen Liebe Dora Diamant begegnet, bleiben ihm gerade mal ein paar Monate, um das Leben mit ihr zu teilen. Diesen Monaten widmet Autor Michael Kumpfmüller seinen Roman "Die Herrlichkeit des Lebens". Auf den ersten Blick mag dem Romantitel – einem Zitat Kafkas notabene - leichter Zynismus anhaften, geht es doch hier unter anderem um das langsame und bedrückende Sterben Kafkas. Im Zentrum steht jedoch das, worauf Kafka nie zu hoffen gewagt hätte: Die innige Verbundenheit des Todkranken mit einer jungen Frau, mit der er über Monate zusammen lebt. Etwas, das ihm bis dahin undenkbar schien.
Kumpfmüller macht es dem Leser nicht leicht. Sein trockener, oft gar protokollartiger Stil schafft zunächst vor allem Distanz zum Geschehen. Je länger der Leser sich jedoch diesem Sprachrhythmus überlässt, desto intensiver wirkt dieser und letztlich wird gewiss, dass es genau dieser Stil ist, den der Roman braucht, um seine volle Wirkung zu entfalten. Jede warme, mitfühlende Komponente wäre angesichts der stetigen Nähe des Todes zu viel. Genau die Distanz, aus der die wachsende Liebe zwischen den beiden Protagonisten beobachtet wird, lässt das Grauen zu, das jeden packt, der das Dahinsiechen Kafkas in seinem ganzen Ausmaß erkennt.
Ohne es direkt in Worte zu fassen, stellt Kumpfmüller in den Raum, die fortschreitende Tuberkulose habe sich auf das Schaffen Kafkas ausgewirkt. Innerlich verzehrt schreibt der Schriftsteller in seinen letzten Monaten mehrere Geschichten, die von der Presse begeistert aufgenommen werden. Es sind Geschichten, die die ganze Verzweiflung des Todkranken spiegeln, die aber teilweise auch die für Kafka so neuen Momente des ständigen Zusammenseins mit einer Frau wiedergeben. Obwohl der Briefwechsel zwischen Franz Kafka und Dora Diamant von den Nazis konfisziert und seither verschollen ist, lässt der Autor eine Ahnung darüber aufkommen, wie sich die Beiden begegnet sind, wie sie ihre Nähe lebten, auch wenn sie zeitweise getrennt waren.
Natürlich stehen Franz Kafka und Dora Diamant im Zentrum des Romans, bildet ihre tragisch-schöne Liebesgeschichte doch das tragende Fundament. Aber Kumpfmüllers Roman hat noch wesentlich mehr zu bieten. Nämlich eine Ahnung vom heraufziehenden Schrecken des Krieges. Zunächst ist es das aus einem kokett geformten Mund zugeworfene Wort "Jud", das ankündigt, was sich in Berlin zusammenbraut. Dann sind es immer deutlichere Signale. Der Antisemitismus formt sich aus einer zuvor nebelartig vorbei wabernden Substanz zu einer dunklen Wolke, die sich drohend über die Menschen legt. Noch bekommen Franz Kafka und Dora Diamant diesen Antisemitismus nur am Rande zu spüren. Doch spüren sie ihn immer deutlicher, ohne das wahre Ausmaß erkennen zu können.
Eindrücklich beschreibt Michael Kumpfmüller den langsamen Zerfall der Währung, das Hungern der Menschen in Berlin und die zunehmende Verzweiflung jener, die ohne Arbeit sind. Inmitten dieses – vorerst scheinbar auf Berlin bezogenen Phänomens – leben Kafka und seine junge Liebe wie in einem Kokon. Unterstützt von Kafkas Familie aus Prag versuchen sie, den Wertzerfall des Geldes zu bewältigen und ihr Berliner Domizil zu erhalten. Dieser Kampf ums tägliche Leben steht für eine Zeit, in der sich die Gesellschaft in einer sich immer schneller drehenden Abwärtsspirale befand. Kumpfmüller hat dies überzeugend und ohne übermäßige Effekthascherei eingefangen. Er zeichnet ein Bild von Berlin, das weder düstere noch heitere Momente ausklammert.
Trotz allem Bedrückenden, das sich durch den ganzen Roman hindurch zieht, präsentiert sich Michael Kumpfmüllers Geschichte als eine berührende Liebesgeschichte. Sie lässt den Leser mit schließlich einem ambivalenten Gefühl zurück. Bei näherer Betrachtung – und wohl eine ganze Weile, nachdem die letzte Zeile gelesen ist – lässt sich Kumpfmüllers Roman auch als Plädoyer verstehen, selbst in ausweglosen Situationen seinem Herzen zu folgen.
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