Gewöhnungsbedürftiges Sammelsurium von Personen und Szenen
Der leidlich erfolgreiche Schriftsteller Bartolomeu Falcato ist mit sich selbst weitgehend im Reinen. Er ist überzeugt, eine glückliche Ehe zu führen, auch wenn er neben Ehefrau Bárbara eine Liaison mit der Jazzsängerin Kiandra unterhält. Aus heiterem Himmel fällt Falcato nun eine tote Frau vor die Füße. Eine, die ihn kurz vorher zu verführen versuchte. Und ebenso überraschend verlässt ihn Bárbara, vor der er unter allen Umständen verbergen möchte, dass er seit seinem Kontakt mit der nunmehr toten Schönen, Núbia, von geheimnisvollen Leuten bedroht wird. Immerhin hat ihm Núbia vor ihrem Tod anvertraut, dass sie die Geliebte des Präsidenten war. Wenn auch nicht freiwillig. Je stärker sich Falcato der Bedrohung zu entziehen versucht, desto mehr ziehen sich die Schlingen in der angolanischen Hauptstadt Luanda um seinen Hals zu.
Der Titel des Buches ist ein erster Wegweiser: "Barroco Tropical". Tatsächlich serviert Autor José Eduardo Agualusa ein üppiges Werk – wenn auch (glücklicherweise) nicht von der Anzahl Seiten her. Zunächst scheint der Einstieg in die Geschichte ganz einfach: Die Leser erfahren, wie Falcato bei einem Treffen mit seiner Geliebten beinahe von einer herabfallenden Leiche getroffen wird. Nicht nur die skurrile Szene, auch der locker-witzige Schreibstil versprechen also gleich mal eine verwegene Story. Da passt auch der etwas plumpe Annäherungsversuch Núbias auf einem Flug ganz gut ins Bild. Doch noch bevor sich der Leser in seinem gemütlichen Sessel zurecht rutschen kann, um sich ganz auf die sich entwickelnde Story einzulassen, wird er in ein undurchdringliches Gewimmel von Szenen katapultiert. Etwas fassungslos steht er vor der Frage, was er mit dieser Entwicklung nun anfangen soll, wie sie zur recht klar strukturierten Eingangssequenz passen soll.
Das nun in rascher Abfolge geschehende aneinanderreihen von Ereignissen und Begegnungen mit verschiedensten Personen ergibt zwar eine ganze Palette von bunten Bildern, aber wenig Sinn. Zumal der Zusammenhang mit der Geschichte Falcatos teilweise höchstens zu erahnen ist. Da hilft es dann auch wenig, dass sich der Roman in der zweiten Hälfte wieder etwas beruhigt, um sich wieder der Frage zuzuwenden, warum Núbia gestorben ist und welche Rolle denn nun Barolomeu Falcato in dieser Sache tatsächlich spielt. Wer aber auch wirklich verstehen möchte, welches Bild sich vor seinem geistigen Auge entwickelt und was ihm José Eduardo Agualusa erzählen möchte, wird nicht umhin können, jede einzelne Szene aus dem Gewimmel in der ersten Buchhälfte heraus zu schälen, sie gedanklich aufzubereiten und ihr sowohl die Essenz zu entlocken als auch sich die handelnden Figuren zu merken. Denn viele von ihnen spielen zu einem späteren Zeitpunkt an anderer Stelle eine Rolle und nur, wer mit großer Aufmerksamkeit das Geschehen mit verfolgt hat, wird tatsächlich in der Lage sein, den Sinn der Geschichte zu ergründen.
"Barroco Tropical" ist mehr ein sprachliches Experiment denn Unterhaltungslektüre. Der Roman stellt einen hohen Anspruch an die Bereitschaft des Lesers, jeden Satz auf seinen Gehalt zu untersuchen und sich das Wesentliche zu merken. Damit wird das Erarbeiten des Romans – denn nichts anderes ist die Lektüre – zu einer anstrengenden Kopfarbeit. Mancher mag in dieser Situation aufgeben und die Geschichte sich selber überlassen. Wenn er nicht brennend an den Abgründen Angolas und dessen Hauptstadt Luanda interessiert ist, wird er dabei wohl auch nichts vermissen. Es lohnt sich aber durchaus, wenigstens den Versuch zu unternehmen, das geschilderte Leben, die afrikanische Üppigkeit, zu verstehen. Denn das ist der Eingang in eine Welt, die nicht auf einem Tablett serviert wird, sondern kaum Niederschlag in hierzulande verlegten Romanen findet.
Bevor man "Barroco Tropical" zur Hand nimmt sollte man sich im Klaren darüber sein, dass die Geschichte dem Leser nicht zufliegt, sondern den Leser auf jeder Ebene stark fordert. Und man sollte auch die Bereitschaft mitbringen, sich auf die spürbar andere Erzählweise des in Angola geborenen und in Lissabon lebenden Autors einzustellen und ihr eine Chance zu geben. Ansonsten dürfte die Lektüre wenig lustvoll bleiben.
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