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  • London: Jonathan Cape, 2010, Titel: 'C', Seiten: 310, Originalsprache
  • München: Deutsche Verlagsanstalt, 2012, Seiten: 473, Übersetzt: Bernhard Robben
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Christine Ammann
941001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2012

Mit der Lupe auf Spurensuche

Tom McCarthy, Jahrgang 1969, hat einmal den Großteil der zeitgenössischen Literatur als Kitsch, als eine Disney-Version des 19.-Jahrhundert-Roman bezeichnet. Jetzt hat der britische Künstler und Schriftsteller seinen Ruf als Avantgardist mit einem Werk gefestigt, das vom Aufbruch in die Moderne erzählt: Es trägt den geheimnisvollen Titel "C", der in der brillanten deutschen Übersetzung von Bernhard Robben einem "K" weichen musste, und schickt den Leser mit der Lupe auf Spurensuche.

K wie Kappe, K wie Krieg, K wie Kollision und K wie Kammer heißen die vier Kapitel des Buches – und der Protagonist Serge Karrefax. Gemäß der Forderungen an den modernen Roman verweigert sich die Hauptfigur dem Credo von Konflikt und Figurenentwicklung, das heute Eingang in jedes Schreibseminar gefunden hat: Serge Karrefax hat keine Pläne, keine Ziele, er lässt sich von einer unbestimmten Sehnsucht und dem Zufall treiben.

1898 auf einem englischen Landgut geboren, entwickelt er als Jugendlicher eine suchtähnliche Leidenschaft für die drahtlose Telegraphie. Nach dem Selbstmord seiner geliebten Schwester schickt man ihn wegen Depressionen in einen tschechischen Kurort und bald danach an Bord eines Flugzeugs in den ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg schreibt er sich unentschlossen für ein Architekturstudium in London ein und lebt das wilde Großstadtleben. Das Studienfach ist schlecht gewählt, Serge hat kein Auge für die Perspektive. Ein Freund des Vaters vermittelt ihn schließlich als Funktechniker nach Ägypten, wo das britische Empire gerade zu bröckeln beginnt. Serge interessiert sich allerdings mehr für altägyptische Grabkammern.

K wie Kopie. "K" beginnt wie ein Bildungsroman des 19. Jahrhunderts, aber das entpuppt sich als Falle. "K" ist historischer Roman, futuristisches Manifest, Detektivroman, Comic – "Tim und Struppi und das Geheimnis der Literatur" lautet ein theoretisches Werk von McCarthy. Er spielt bravourös mit literarischen Vorlagen und Genres. Kunst ist Wiederholung und schon Shakespeare war ein Remixer. So lautet eine weiteres Statement von ihm, das er in "K" eindrucksvoll vorführt.

K wie Kommunikation. Die Geschichte von Serge schreibt sich ein in die Geschichte der modernen Kommunikation und in die Geschichte des ´Kunstwerks im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit’: drahtlose Telegraphie, Telefon und Hörfunk, Kino und Grammophon. "K" erzählt von uns, vom modernen Menschen, umgeben von seinen Gadgets und einer Kommunikationstechnik, die Faszination und Overkill zugleich ist. 

K wie Kryptologie. In "K" geht es auch um’s Lesen selbst, um unsere Wahrnehmung, um Sender und Empfänger, um verschlüsselte Botschaften und Kodes, die der Leser mit der Detektivlupe entziffern kann. So kann sich der Leser, wenn er das denn will, beispielsweise auf spannende Spurensuche nach den Theorien der französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari begeben, etwa wenn Serge im Rauschen des Äthers das All-Eine ausmacht oder sein Vater die Vermutung hegt, dass alles Vergangene für alle Ewigkeit im Ätherrauschen aufgehoben ist. Oder der Leser kann Serge zu den Ausgrabungen der Pharaonengräber begleiten, in denen ´Ka’ – die Seele – wohnt und Skarabäer Interessantes über altägyptische Zeichensystemen zu erzählen haben. 

K wie Kode. Es sind gerade diese eingeschriebenen Kodes, die dem neuen Roman von Tom McCarthy eine geradezu mythische Überhöhung verleihen. Der Text ist nicht nur, was er zu sagen vorgibt, sondern verweist noch auf etwas anderes, auf das große Geheimnis. Ist es nicht das, was große Literatur ausmacht? Am Ende ist Serge ´C-krank’ und im ´C’, dem Meer, schwimmt Abfall. Aber Serge wurde gerufen, er hat den Koderuf erhalten. Man darf wohl annehmen, dass er glücklich ist 

K wie Kunst. "K" ist ein Stück wunderbare Poesie. Nicht zufällig zitiert McCarthy in "K", das 2010 für den renommierten Booker-Preis nominiert wurde, ausgiebig Dichter, Hölderlin oder Shakespeare. Sein Protagonist Serge, getrieben von der Sehnsucht nach einer mystischen Einheit von Mensch und Maschine, von morbider Sexualität und Todessehnsucht, sucht die Entgrenzung: in der Versenkung, im Fliegen, in der Geschwindigkeit, in Drogen, im Sex.

"Es ist, als würde sich die Welt wieder zurechtrücken, wenn er sich nur schnell genug bewegte", erkennt Serge einmal.

Das Fliegen löst bei ihm einen Rausch aus, den er durch Kokain noch verstärkt:

"Gebäude, Gräben, Hecken drehen sich, richten sich aus wie Teile einer Maschine, drehen sich zurück und richten sich erneut aus, als der Horizont andersherum zurückkippt und Zahnräder samt Hebel um eine Achse schwenken, deren Mittelpunkt Serges eigener Kopf ist. 

Tom McCarthy findet Bilder von großer visuelle Kraft, die mitunter an mittelalterliche Altarbilder oder kubistische Gemälde erinnern 

K wie Komik. Und bei all dem ist schließlich der Humor nicht zu überhören, mit dem der Autor zu Werke gegangen ist. In Tom McCarthys neuem Roman mischen sich Bubenstreich, Poesie und intellektuelles Spiel.

K wie Kultbuch. "K" hat das Zeug zum Kultbuch: mit verschlüsselten Botschaften, geheimnisumwitterten Orten und einem tragischen Held. "K" weckt den Detektiv im Leser und lässt ihn nicht mehr los, bis er dem Geheimnis auf die Schliche gekommen ist. Unbedingt empfehlenswert.

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