Nachbetrachtung eines sinnlosen Widerstands
Politische Krisen dominierten in Argentinien in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein ständiger Wechsel zwischen zivilen und Militärregierungen ließen das Land nicht zur Ruhe kommen. Nach Peróns zweiter Amtszeit und der kurzen Regierungsepisode seiner Frau Isabel kam es nach längerer Krise 1976 erneut zu einem Militärputsch. Von 1976 bis 1978, in der Zeit des "Schmutzigen Krieges", regierte eine Militärdiktatur mit offenem Staatsterror.
Der Autor Martín Caparrós verließ während dieser Zeit das Land und verbrachte die folgenden Jahre im Exil in Frankreich und Spanien. Sein Protagonist Carlos jedoch hat diesen rechtzeitigen Absprung verpasst. Gemeinsam mit seiner schwangeren Frau Estela wollte er das Land verlassen, in ein paar Tagen nur nach einem "geordneten Rückzug". Doch es sollte nicht mehr zur gemeinsamen Flucht kommen. Estela wurde vom Militär verhaftet, vermutlich gefoltert und getötet. Ihr Schicksal wurde ebenso wie das zahlreicher weiterer Verschollener dieser Zeit niemals aufgeklärt. Carlos konnte bis heute nicht verwinden, was damals geschehen ist.
Immer wieder plagten ihn Rachegedanken. Doch an wem sollte er sich rächen? Nun, dreißig Jahre später ist er ein alter und todkranker Mann. Als er auf die Geschichte von Pater Fiorelli stößt, der damals in einem Militärgefängnis Dienst tat und das grausame Morden geduldet hat, flammen die alten Rachegedanken wieder auf.
Zurück bleibt Resignation
"Wir haben uns geirrt" - diese Erkenntnis hat Carlos mittlerweile erlangt. Der Kampf gegen die Diktatur war sinnlos. Wozu der Widerstand? Was haben sie damals erreicht? Nichts. Die Hoffnung, dass die Täter von damals irgendwann ihre gerechte Strafe erhalten, ist verflogen. Carlos blickt auf sein Leben zurück voller Resignation und der Erkenntnis, dass er alles falsch gemacht hat. Doch nur ihm scheint es so zu gehen. Seine damaligen Mitkämpfer - denen geht es mittlerweile gut. Sein Freund Juan hat es sogar bis auf einen Ministerposten gebracht. Und die, die auf der Seite des Gegners standen - auch sie haben die Zeit danach gut und unbehelligt überstanden. Das schreit doch geradezu nach Rachegelüsten. Doch kann ihm dies nach all den verlorenen Jahren noch Genugtuung verschaffen?
Vom Thema her ist diese Selbstanalyse durchaus lesenswert. Doch nach hundert Seiten hat Caparrós im Prinzip alles gesagt, was zu sagen ist und ergeht sich in den restlichen gut zweihundert Seiten weitgehend in Wiederholungen. Zudem macht sein Schreibstil die Lektüre nicht gerade zu einem Vergnügen. Nein, man muss sich regelrecht durch die Seiten arbeiten.
Gerade in den endlosen Absätzen seiner melancholischen Gedankengänge mit Aufzählungen ohne Punkt und Komma, kommt man gerne mal in die Versuchung quer zu lesen. Gerät dabei aber gleichzeitig auch in Gefahr, die ein oder andere stimmige Metapher zu verpassen.
"Ja, Estela, aber ihr seid ein Erfolg, ihr Kaninchen, ein voller Erfolg. Ihr seid die Opfer, es gibt nichts Besseres als die Opfer Kaninchen Verschwundenen abrakadabra futsch, nichts nichts: nichts, das funktionaler, leichter zu führen ist als eine Mannschaft aus Opfern. Wie gut es euch ergangen ist. Weil ihr so gefügig wart, weil ihr so seid, wie die Zauberer euch wollten, weil ihr verschwunden seid: Wie gut es euch ergangen ist."
Obwohl Carlos weitgehend als direkter oder übergeordneter Erzähler fungiert, bilden die Kapitel eine abwechslungsreiche Struktur von Zeit und Ort. Caparrós beginnt die Handlung mit der Ermordung von Pater Augusto Fiorelli, verliert diese dann zeitweilig aus den Augen. Die Aktivitäten von Carlos wechseln mit seinen Gedanken an die Zeit des Widerstands, zum Teil alleine abschweifend, zum Teil im Dialog mit der jungen Valeria, die für ihn Liebesdienste verrichtet, die ihn aber auch nicht so recht befriedigen können. Wirklich konkret wird er nur selten, verschweigt, was unangenehm ist, umschreibt die Qual, der seine Frau vermutlich ausgesetzt war, mit "diefolter".
Leider wirft Caparrós´ Auseinandersetzung mit der argentinischen Militärdiktatur mehr Fragen auf als sie Antworten geben kann. Klar, das liegt in der Natur der Sache. "Wir haben uns geirrt" als zentrales Thema. Alle haben sich geirrt: das Militär, die Revolutionäre, Reiche, Mitläufer, Priester. Doch eine nachträgliche Lösung wird auch nicht geboten. Zurück bleiben Resignation und Pessimismus. Dies lässt den Leser nachdenklich, aber auch unbefriedigt zurück.
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