Willkommen in Falconer

  • Köln: DuMont, 2012, Seiten: 223, Übersetzt: Thomas Gunkel
  • New York: Knopf, 1977, Titel: 'Falconer', Seiten: 211, Originalsprache
  • München; Zürich: Droemer Knaur, 1978, Titel: 'Falconer', Seiten: 229, Übersetzt: Dieter Dörr
  • München; Zürich: Droemer Knaur, 1981, Titel: 'Falconer', Seiten: 223
  • Leipzig: Reclam, 1989, Titel: 'Falconer', Seiten: 199
Willkommen in Falconer
Willkommen in Falconer
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Wolfgang Franßen
921001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2012

Von der unfreien Freiheit

Wenn ein berühmter Autor auf einen versierten Übersetzer trifft, ist dies ein Glücksfall. Zu oft kommt es vor, dass wir einen Roman sprachlich erst gar nicht so genießen können, wie er vom Autor wirklich verfasst wurde.  Wenn dann noch die Rechte eines Verlags an einer bestimmten Übersetzung hängen, kann es vorkommen, dass wir ein Buch nur dem Inhalt nach kennen. Thomas Gunkel hat sich nun sprachlich kongenial in "Willkommen in Falconer" eingelebt und die bildhafte Leichtigkeit gefunden, die diesen großen amerikanischen Erzähler ausmacht.

Farragut ist wegen Brudermordes verurteilt worden. Einem wahrhaft biblischen Vergehen. Doch in seinen Augen ist der Bruder nur unglücklich gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen. Ein weiterer Unschuldiger, der in die Mühlen der Justiz geraten ist? Obwohl Farraguts Leben hat sich auch schon vorher nicht von der besten Seite gezeigt. Drogenabhängig mit einer wunderschönen Frau verheiratet, der nicht über den Weg zu trauen ist, wird er gleich mit einem Stuhl über den Schädel zur Strecke gebracht, als er auf Turkey ist und zur Krankenstation laufen will, um sich sein Methadon abzuholen.

Wie Farragut in den Besitz eines Stiftes kommt, um sein Klageschreiben auf einem Bett-Tuch zu verfassen, unterstreicht, wie nah, wie zugehörig sich dieser Häftling noch einer Gesellschaft fühlt, die ihn längst ausgestoßen hat. Natürlich wird es nie zu einer Anklage gegen die Gefängnisleitung kommen, eher droht ihm der Prozess wegen eines unternommenen Fluchtversuches. Der Justizapparat funktioniert selbst in so einem heruntergekommen Gefängnis wie Falconer. Wo ganze Blöcke leer liegen, Toilettenanlagen sich selbstständig machen. Man als Häftling am besten schaut, dass man zu einer Familie gehört, um den anderen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. 

Im grauen Gefängnisalltag bleibt nur die Flucht in die Erinnerung an die Familie, die gut situiert den Abstieg erleben musste, an eine Liebe, in der eine Ehefrau nur dadurch zu halten war, indem Farragut sich unterordnete, Freiheiten zugestand und Launen ertrug. Gleichermaßen als würde Farragut  Tagebuch führen. Manchmal wird das tägliche Einerlei dadurch zerrissen, dass ein Wärter, nachdem eine der unzähligen Katzen ihm das Steak vom Teller gestohlen hat, sich berufen fühlt, dieser Plage endgültig den Garaus zu machen und sie kurzerhand allesamt erschlagen will. Eine gespenstische Tötungsszenerie setzt ein, die den Häftlingen eines klar macht: Sie sind lediglich einen Schritt davon entfernt, selber erschlagen zu werden.

Cheevers Meisterschaft besteht darin, das Schicksal als etwas zu beschreiben, das jeden auf die eine oder andere Art befallen kann. Bedrückt es einen zu sehr, dann hilft es, sich selbst zu belügen. Wenn Farragut seine Klageschrift gegen das Gefängnis aufsetzt, gleich Washington und den Bischof anruft, und seine Lage vollkommen verkennt, entpuppt er sich als wild gewordener Kleinbürger.  Wenn seine Zellengenossen von dem Grund ihrer Inhaftierung berichten, sind sie alle unschuldig hinter Gitter gekommen und werden auch alle bald wieder auf freien Fuß gesetzt. Selbst die Lebenslänglichen. Wenn du etwas nicht ändern kannst, richte es dir so ein, dass es erträglich scheint, lautet das Überlebensmotto.

Cheever erzählt in "Willkommen in Falconer" von der Anpassungsfähigkeit der Menschen. Zwar fehlt die Freiheit, die Natur, fällt die Sonne oft genug nur durchs vergitterte Fenster herein, aber es lässt sich auch hier eine innere Welt aufbauen. Gleichsam wie in einem Ameisenhaufen. Das frühere Leben tritt in Schemen auf, wird verklärt. An Besuchstagen dringt es für eine halbe, eine ganze Stunde zwischen die Mauern und darf mit einem einzigen Kuss besiegelt werden. Wenn denn diejenige sich küssen lässt und nicht vorbei schaut, damit die Scheidungspapiere unterschrieben werden.

Es gibt so wunderbar absurde Szenen in diesem Roman. Wie jene, wenn ausgerechnet ein Kurs über die Grundlagen des Bankwesens auf Flugblättern angekündigt wird, die allerdings so oft vervielfältigt wurden, dass sie zur Plage werden. Es muss sogar unter Strafandrohung, darauf hingewiesen werden, dass das Flugblatt nicht als Toilettenpapier benutzt werden darf, um die Rohre nicht zu verstopfen. Es endet als Taschentuch, Papierflieger, Schmierzettel. An Papier mangelt es den Häftlingen immer. 

Ein Autor, der einmal auf die Idee kam, in "Der Schwimmer" einen Mann durch die Pools der Umgebung nach Hause schwimmen und ihn dabei seiner eigenen Selbsttäuschung begegnen zu lassen, erzählt in "Willkommen in Falconer" vom Überleben nach dem Scheitern. Wer hätte davon besser erzählen können, als ein Schriftsteller, der es Zeitlebens verstand, ohne Skandale auszukommen, und über den nach dessen Tod erst sein maßloser Alkoholkonsum und der Hang zur Bisexualität bekannt wurde.

Mit Cheever sind wir alle ein Stück weit durchs Leben bestens aufs Gefängnis vorbereitet. Was soll schon passieren? Wir atmen weiter. Schwimmen weiter. In unser Unglück hinein.

Willkommen in Falconer

John Cheever, Droemer Knaur

Willkommen in Falconer

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