Tine

  • Zürich: Manesse, 2011, Titel: 'Tine', Seiten: 320, Übersetzt: Ingeborg Keel
  • Kopenhagen: Schubothe, 1889, Titel: 'Tine', Seiten: 287, Originalsprache
  • Berlin: S. Fischer, 1903, Seiten: 236, Übersetzt: E. Weise
Tine
Tine
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Daniela Loisl
851001

Belletristik-Couch Rezension vonMär 2012

Ein impressionistisches Kunstwerk

Eine Liebesgeschichte zwischen der Küsterstochter Tine und einem verheirateten Forstmeister.

Trivial, banal oder gar leicht und seicht, mitunter sogar kitschig, diese Adjektive schießen einem schnell durch den Kopf, wenn einem gesagt wird, dass jemand eine Liebesgeschichte liest. Es ist wohl kaum von der Hand zu weisen, dass der überwiegende Teil an Liebesromanen genau mit den genannten Adjektiven zu beschreiben ist. Hier jedoch geht es um ein Buch von Herman Bang, zu dem schon Thomas Mann sagte "Jetzt lese ich beständig Herman Bang, dem ich mich verwandt fühle. Ich empfehle Ihnen dringend "Tine"!". Dieser Empfehlung kann man sich nur anschließen.

Wie auch der Norden, so klar und karg, aber auch leicht bedrückend, melancholisch, ermöglicht Bang Einblicke in das Leben einer jungen Frau, die hin- und hergerissen ist zwischen Loyalität gegenüber ihrer Freundin und Liebe zu deren Mann. Schnörkellos, den Fokus auf das Wesentliche gerichtet, schafft der Autor auf außergewöhnliche und glaubhafte Weise einen Einblick in die Seele und die Gefühlswelt seiner Protagonisten, ohne sich in Pathos oder gar Gefühlsduselei zu verheddern.

Bang ist ein beeindruckender Erzähler mit einem Groß an Empathie. Atmosphärisch dicht, elegisch wird das Unheil des damaligen Krieges von Dänemark gegen Preußen und Österreich, dem Bang durch die Erlebnisse seiner Figuren ein wahres und auch abscheuliches Gesicht gibt, durch die schon nüchtern anmutende und dennoch schonungslose Erzählweise noch einmal lebendig und greifbar. Man steht mitten in der Szenerie, weiß, was auf Tine zukommen wird, möchte sie wachrütteln, ihr zuflüstern zu vergessen, ihr den Weg zeigen – und weiß dennoch, dass Tine gar nicht anders könnte, stünde sie auch neben einem. Das Zusammenspiel an Worten, die Nüchternheit der Sprache, die dennoch alles nachvollziehbarer und authentischer macht als die schönsten, ausgeschmücktesten und penibelsten Erklärungen, beherrscht Bang in Perfektion.

Und obwohl das Buch eher schwermütig ist, fehlt es manchen Passagen nicht an feinem, subtilem Humor, was der ganzen Tragik zum Trotz wiederum eine leichte Note verleiht.

Dieses sprachlich so herausragende Werk hat kein geringerer als Claude Monet selbst als "impressionistisches Kunstwerk, das mit zum Höchsten gehört" bezeichnet.

Bang zeigt, dass Liebesromane keinesfalls schnulzig, kitschig oder gar nur von Sexszenen strotzend sein müssen, wie es heute leider so oft gang und gäbe ist. Ein Liebesroman wie dieser zeigt trotz der leichten und flüssigen Erzählweise immensen Tiefgang, und so geschieht es wie von selbst, dass der Leser sich mit Tine identifiziert, ihre Zerrissenheit spürt und auch nachvollziehen kann

Auffällig ist allerdings, dass sehr viele Liebesromane, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins beginnende 20. Jahrhundert von namhaften Schriftstellern verfasst wurden, wie z.B. "Effi Briest", "Irrungen, Wirrungen" von Theodor Fonatne, "Madame Bovary" von Gustave Flaubert, "Eine Frau von dreißig Jahren" von Honoré de Balzac  u.n.v.m. und eben auch "Tine", tragisch enden.

Wer Bücher von sprachlich und erzählerisch hohem Niveau liebt, aber dennoch auch gut unterhalten werden möchte und Wert auf Tiefgang legt, wird in "Tine" eine wunderbare Lektüre finden, die noch lange nachhallt.

Tine

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