Die Stille in Prag
- Luchterhand
- Erschienen: Januar 2012
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- München: Luchterhand, 2012, Titel: 'Die Stille in Prag', Seiten: 240, Übersetzt: Eva Profousová
- Prag: Labyrint, 2007, Titel: 'Potichu', Originalsprache
Das Feuerwerk ist vorbei.
Es ist eine Situation, wie sie mehrmals in "Die Stille in Prag" vorkommt: Vor einem Club in der tschechischen Hauptstadt sitzen Jaroslav Rudiš Protagonisten in verschiedenen Konstellationen und lauschen der Musik, die vor den Türen der Disco bestenfalls gedämpft und unzusammenhängend zu hören ist. Während sie Beziehungen beenden oder neuen entgegengehen, bildet der Wechsel der Lieder, der Wechsel zwischen Lärm und Stille, den Hintergrund, vor dem sie ihr Leben planen. Überflüssig zu sagen, dass es dennoch meist anders kommt...
"Ein langweiliges tschechisches Leben liegt hinter mir. Vor mir sieht es vermutlich nicht anders aus."
Jaroslaw Rudiš ist nicht nur in seiner tschechischen Heimat überaus erfolgreich. Mit der Graphic Novel "Alois Nebel" wurde 2011 bereits sein zweites Werk verfilmt. 2007 wurde er zudem unter die 30 wichtigsten Persönlichkeiten Tschechiens gewählt. In ein gutes Licht rückt er seine Heimat allerdings nicht gerade. Durch das ganze Buch hindurch wird seine Abneigung gegen den Mief und die verkommenen Traditionen des Landes deutlich. Er beschreibt in seinem fünften Roman Prag nach dem großen Aufschwung der Neunziger Jahre. Die großen Partys sind Vergangenheit, das Feuerwerk ist vorbei.
"Laut soll die Musik sein. Richtig laut. Das ist das Wichtigste. Damit alles andere untergeht. Aus der Welt verschwindet. Und endlos lang soll sie sein. Lang, heftig und ohne Ende."
Rudiš´ Figuren könnten kaum unterschiedlicher sein: Seitdem er sein Studium auf der Zielgerade abgebrochen hat, lenkt Petr täglich Straßenbahnen durch Prag, seinen Hund Malmö immer bei sich im Führerhaus. Eigentlich wollte er den Job, den er irgendwann als Notlösung annahm, schon längst aufgegeben haben. Dazu kann er sich allerdings genau so wenig durchringen wie den Bücherschrank der lange verstorbenen Oma auszumisten. Auf einer seiner nächtlichen Fahrten trifft er Vanda, ein junges, aufsässiges Mädchen aus schwierigen Verhältnissen, die sich vorgenommen hat, anlässlich ihres 18. Geburtstages das Koksen aufzugeben.
"Lärmschutz ist die Musik der Zukunft. […] Das ist doch total abgefahren, oder? Stille gegen Geld."
Bürgerlicher wirken da schon Hana und Wayne. Letzterer ist Amerikaner, der als Wirtschaftsanwalt in Prag hängen geblieben ist. Als er in den Nachrichten seinen Bruder zu erkennen glaubt, der als Soldat im Irakkrieg blutüberströmt auf einer Trage liegt, wirft ihn das vollends aus der Bahn. Seine Freundin, die für die Verwaltung der Europäischen Union arbeitet, kommt derweil aus einer Konferenz in Lissabon zurück. Ihre Gedanken kreisen nur um den "petite morte", den ersten Orgasmus ihres Lebens, den sie am Vorabend mit einem deutschen Kollegen hatte.
"Die Stadt braucht ihn, das weiß er. Diese Stadt, die sich jeden Morgen über ihm zusammenkrümmt und vor Schmerzen ins Gesicht stöhnt, dass er sich die Ohren zuhalten muss. […] Europa brennt. Vladimír kann es hören."
Vladimír ist die obskurste Figur des Buches. Seit dem Tod seiner Frau verschanzt er sich in seiner schalldichten Wohnung und hat dem Lärm, für ihn die Wurzel allen Übels, den Krieg erklärt. Um die Menschen zum Zuhören zu zwingen, zerschneidet er völlig Fremden die Kabel ihrer Kopfhörer oder sabotiert Musikanlagen in den umliegenden Bars. Von Paranoia und Visionen geschüttelt droht er, in totaler Isolation zu versinken.
So unterschiedlich all diese Charaktere auch sein mögen, bei Rudiš sind die Menschen keine Inseln. Ständig kreuzen sich ihre Wege, ohne dass es den Figuren bewusst wäre. An dem einen Tag, den der Autor aus der ständig wechselnden Sicht seiner Charaktere schildert, wird aus diesen völlig unterschiedlichen Menschen eine Schicksalsgemeinschaft. Zum Ende des Buches hin werden sie ihren Leben gegenseitig eine drastische Wendung geben.
Die Idee, die Geschichte verschiedener Charaktere zu schildern, die erst zum "Showdown" zusammen kommen, ist beileibe nicht neu. Dennoch gelingt es Rudiš durch seine unaufgeregte Sprache und die Authentizität der Figuren, das ganze nicht in ein kitschiges Konstrukt ausarten zu lassen. Mal in leisen und zarten, mal in krachenden und leidenschaftlichen Episoden bringt er den Leser dazu, auch über das eigene Leben nachzudenken.
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