Mein Vater hat mich als Unglück ausgedacht
Als der amerikanische Filmregisseur David Lynch seinen Psychiater fragte, ob er seine künstlerische Schaffenskraft verlieren könnte, wenn er weiterhin zu ihm käme, und dieser die Möglichkeit nicht ausräumen wollte, verzichtete Lynch auf die Fortsetzung der Therapie. So sagt man. Robert Pabst - oder sollten wir ihn besser Thomas Brasch nennen - ist aus einem ähnlichen Holz geschnitzt. Er stählt sich gegen einen Vater, der ihn von klein auf nach seinem Gutdünken zu gestalten sucht, um ihn, als er es nicht schafft, mit gnadenlosem Hass zu verfolgen. Ausgerechnet der Sohn des stellvertretenden Kulturministers wird zum Abtrünnigen.
Pohl verfällt nicht dem Schwarz-Weiß-Muster. Er wahrt die Balance zwischen grauem DDR-Alltag, dem politischen Verbrechen an der eigenen Bevölkerung und Klaus Pabst Tragik, als verblendeter Aktivist gegen das eigene Scheitern nicht anzukommen. In bester Shakespearemanier sind Pohls Helden wie Anti-Helden voller Schuld und Unschuld. Nur das jeweilige Maß macht die innere Tragik aus. Dabei hilft es dem Autor sicher, dass er sich mit dem Theater auskennt. Als Schauspieler vermag er in Rollen zu schlüpfen, als Dramatiker weiß er innere Spannung aufzubauen, als Schriftsteller findet er wundervolle Sätze wie jene für New York.
Wir Leser werden zu Voyeuren, die sich fragen, wie nah am wirklichen Leben die Handlung sich entlang hangelt. Bis auf Ulbricht, Honecker und andere historische Personen führt Pohl einen Schleiertanz auf, der ihm unter dem Deckmantel anderer Namen eine größere Bewegungsfreiheit einräumt. Ein Spiel mit der Tragödie, wie der Burleske, der Komödie und dem Melodrama. Die Szene, wo Robert Pabst Erich Honecker aufsucht, der ihn herzt und ihm die Ausreise in den Westen verspricht, heimelt so sehr, dass die biedermeierliche Fassade dieses Schreckensystems offenbart wird. Hier liegen die Stärken des Romans. Er verteilt keine pauschalen Schuldzuweisungen, er lässt die Dummheit sich selbst entblättern.
"Die Kinder der preußischen Wüste" ist ein Künstlerroman. Die einzige Flucht, die vielen Figuren darin bleibt, besteht darin, zu schreiben, zu singen, zu schauspielern. Dadurch entgehen sie Ängsten wie grauem Alltag. Später im Westen angekommen, wird diese Flucht zum Verhängnis. Aber der Roman handelt nicht nur von Robert Pabst, alias Thomas Brasch, er erzählt auch die Geschichte von Nora Meinl und ihrer rumänischen Familie, die aus Bukarest den Weg nach Ost-Berlin zurück findet, weil der deutsche Vater als renommierter Wissenschaftler hier wieder seiner Arbeit nachgehen kann. Viele Miniaturen werden miteinander verschränkt und sprengen das enge Feld des Familiendramas. Ein Deutschland im Krieg, nach dem Krieg und im dauernden Clinch mit sich selbst. Ein Land, in dem der Westen die Kulturschaffenden des Ostens missbraucht, um Propaganda für die westliche Freiheit zu betreiben. Bei uns dürfen sie alles sagen, alles schreiben, wir drucken sie, während ihnen drüben ein Maulkorb verpasst wird.
Was für eine witzige Idee – auch hier wissen wir nicht, ob es sich wirklich so ergeben hat – eine westdeutsche, übergewichtige Journalistin durch die Mauer schlüpfen zu lassen, um sich mit westdeutschen Zeitungen und in der DDR verbotener Literatur Robert Pabsts Liebesdienste zu erkaufen. Der Rebell als Hure.
Der Schriftsteller Pabst ordnet alles seinem Suchen, seinem Werk unter. Er schreibt nicht nur mehrmals seinen Shakespeare ab, er umgibt sich auch mit Musen, die ihm wie Brecht zu willen sind, ihn vergöttern und denen er nicht die Treue hält. Später im Westen wird sich ein ganzer Kreis Freunde um den erfolgreichen Filmregisseur versammeln. Er wird zur Legende werden. Aber wäre er es auch geworden, wenn sein Vater nicht stellvertretender Kulturminister gewesen wäre? Wenn die Bundesrepublik den Abtrünnigen nicht hofiert hätte? Im Lagerkoller des Nachkriegsdeutschlands machen Robert Pabst und die Schauspielerin Sophie Karriere. Weil sie Talent besitzen. Doch hier schließt sich auch der Kreis zur griechischen Tragödie. Der Sohn wird gegen den Vater in Stellung gebracht.
"Die Kinder der preußischen Wüste" ist die Geschichte vieler Menschen, die auf ihrem Weg auf der Strecke bleiben. Robert Pabst wird Gedichtbände veröffentlichen, Stücke schreiben und übersetzen, er wird Filme drehen. Er wird der DDR-Autor schlechthin und in Cannes gefeiert werden. Nur vor einem wird er kneifen: Seine eigene Geschichte aufzuschreiben. Ein Angebot, in New York zu bleiben und die Geschichte seines Lebens zu Papier zu bringen, schlägt er aus. Lieber führt er in Berlin Regie. Vom Kapitalismus zum Dichter verführt, trommelt sein Vater Klaus Pabst derweil gegen den eigenen Sohn.
Klaus Pohl holt das nun nach. Es ist keine Biografie, es ist vielleicht, der Versuch einem Freund und sich selbst nahe zu kommen. Es wird nicht gut ausgehen mit Thomas Brasch. Er wird wie viele berühmte Vorbilder an sich selbst zerbrechen, den Drogen anheim fallen. Für die, die ihn lieben, zur Last werden. Als habe ihn am Ende Shakespeare besiegt. Pohl stellt seinem Roman ein Zitat aus Richard II. voran:
"Wer immer in mir wohnt, ich meine nicht mich, ich meine den Menschen in mir, wird nicht zufrieden sein, bevor er alles los ist, auch sich selbst."
Robert Pabst wird sich besiegen, sich auslöschen. Erst da findet er seinen Frieden. Klaus Pohl ist bei aller Realität ein leichtfüßiges Melodrama über das Scheitern von Fluchten gelungen, wo keine Fluchten möglich sind.
Außer in den Tod.
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