Alois Nebel
- Voland & Quist
- Erschienen: Januar 2012
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- Prag: Labyrint, 2003, Titel: 'Alois Nebel', Originalsprache
- Dresden; Leipzig: Voland & Quist, 2012, Seiten: 356, Übersetzt: Eva Profousová
Technik muss funktionieren...
...weil die Menschen versagen! Wie schon sein Großvater und sein Vater vor ihm ist Alois Nebel passionierter Eisenbahner und arbeitet als Bahnhofsvorsteher in Bílý Potok, einem verschlafenen Nest an der tschechisch-polnischen Grenze. Ein untersetzter Mann mittleren Alters mit einem gemütlichen, etwas simplen Gemüt. Die immer akkurate Uniform, ein Schnauzbart und die altmodische Brille: auf den ersten Blick eine nicht gerade passende Hauptfigur für einen großen Roman. Wären da nicht seine Visionen, die ihn nachts überkommen. Dann sieht er, wie Nebel die Bahnstation verhüllt, und die Geisterzüge mit ihren düsteren Schatten aus der Vergangenheit den Bahnhof passieren.
"Plötzlich war der Nebel wieder da und ich sah diesen endlosen Güterzug auf Gleis 1 einfahren."
Im Laufe der Geschichte erlebt er auf diese Weise die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts noch einmal. Seien es Wehrmachtssoldaten, Juden auf dem Weg in die Konzentrationslager oder später die aus dem Sudetenland flüchtenden Deutschen. Alois Nebel kann zwischen Traum und Realität nicht mehr unterscheiden und landet in einer Nervenheilanstalt, wo er auf den "Stummen" trifft. Auch diese mysteriöse Gestalt, deren Geschichte und Motive erst am Ende des Buches aufgeklärt werden, ist ein wandelndes Relikt aus der Vergangenheit, ein Echo aus lange vergangenen Zeiten. Der Begriff "Vergangenheit" ist bei Jaroslav Rudiš sowieso relativ. Beinahe keine seiner Figuren scheint im modernen Tschechien angekommen zu sein.
Von "Arbeit macht frei" zu "Autocamping"
Das liegt nicht alleine daran, dass der Großteil der Geschichte im Altvatergebirge spielt; laut Rudiš die vielleicht vergessendste Region in Tschechien. Es ist bezeichnend, dass sich der Schriftzug "Arbeit macht frei", der am Eingang mehrerer Konzentrationslager angebracht war, im Laufe des Buches zu einem profanen "Autocamping"ändert. Vom großen wirtschaftlichen und geistigen Aufbruch der Wendezeit ist hier in der Provinz nichts zu spüren. Das spiegelt sich auch in den Charakteren wider: größtenteils gebrochene Gestalten, die sich von der Geschichte betrogen fühlen.
Die ganze Tristesse wird wunderbar durch das Artwork dieser Graphic Novel umgesetzt. Jaromir "Jaromir 99" Svejdik illustriert die Geschichte komplett in schwarz-weiß. Die Zeichnungen - mal seitenfüllend, mal piktogramm-artig - wirken wie grobe, zum Teil fast minimalistische Scherenschnitte. Obwohl das Buch erst dieses Jahr auf Deutsch verlegt wurde, so ist es doch schon zehn Jahre alt und war seinerzeit die erste tschechische Graphic Novel überhaupt. In einem Interview erklärte Rudiš, das Werk sei bei den Fachbüchern zum Verkehrswesen eingeordnet gewesen, als er es das erste mal in einem Buchladen endeckt hat. Mittlerweile dürfte sich das geändert haben. Die Verfilmung des Romans kam 2011 in die tschechischen Kinos und war auf Anhieb ein großer Erfolg. Mittlerweile lief der Film in französischer Übersetzung und wurde für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert. Eine deutsche Version soll folgen.
"Alois Nebel" ist ein Buch vieler kleinen Geschichten, die sich zu einer großen zusammenfügen. Ein Buch über die deutsch-tschechische Geschichte, das den Leser aber dennoch vor allem durch seine liebevoll gezeichneten Figuren einnimmt. Ein Buch, das nachdenklich, aber nicht betroffen stimmt und unbedingt gelesen werden sollte.
Jaroslav Rudiš, Voland & Quist
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