Aus wenigen Fakten setzt sich die Einsamkeit zusammen
Eine große Geburtstagsfeier zu Simons 50. ist geplant, als Simons Mutter, eine lebenslustige und scheint´s rüstige Dame, plötzlich stirbt. Simons Verhältnis zu ihr war alles andere als innig, aber dennoch wird ihm durch ihren unerwarteten Tod mit einem Schlag klar, wie vergänglich das Leben doch ist.
Als Tante Ilse, eine nicht einmal "richtige" Verwandte Simons, in ein Altersheim abgeschoben werden soll, drehen sich Simons Gedanken auf einmal nur um das Altern, das Abgeschoben werden, Einsamkeit und Tod.
"Tante Ilse" ist eine Erzählung aus dem Leben. Eine Geschichte, wie es sie zu tausenden auf der Welt gibt. Also Nichts Innovatives oder Neues. Diese Alltäglichkeit jedoch, veranschaulicht Schwartz dem Leser auf Basis eines Episodenfilms. Besuche bei Tante Ilse und Gespräche mit ihr, veranschaulichen Simon auf manchmal bedrückende Weise, was womöglich auch ihn eines Tages erwartet.
Der Autor lässt seinen Protagonisten aus der Ich-Perspektive erzählen, wodurch die Glaubhaftigkeit seiner Gedanken und Handlungen noch intensiver gegeben ist. Er zergliedert und analysiert Geschehnisse, überlegt und wendet, spielt Szenarien durch, wie es ihm eines Tages ergehen wird und schüttelt den Kopf, um diesen wieder frei zu bekommen, nur um festzustellen, dass Ilse sich nicht mehr aus seinen Gedanken entfernen lässt. Er fühlt sich Tante Ilse gegenüber verpflichtet sie zu besuchen und ihr Gesellschaft zu leisten, da es sonst kaum jemand tut. Simon erzählt von seiner Mutter, seiner Familie, seinen Empfindungen und Ängsten. Er kommt aber auch nicht umhin, sich den einen oder anderen Selbstbetrug einzugestehen, wenn ihn das Gewissen plagt oder er für sich selbst beziehungsweise sein Tun, Entschuldigungen sucht
Es sind zwei gänzlich unterschiedliche Welten, die Simon Schwartz dem Leser vorstellt. Die eine traurig, melancholisch und vermeintlich ohne Hoffnung und die andere der Trubel des Lebens, wenn Charlie, Simons Frau, Simons Geburtstagsfeier vorbereitet. Die fröhliche und bunte Feier in Italien, könnte Simon so richtig genießen, aber nicht einmal so weit weg von Berlin, lassen ihn die Gedanken an Tante Ilse los.
Und Tante Ilse selbst? Sie ist keine Frau, die sich Vorschriften machen lässt, auch nicht im Alter. Sie findet einen ganz eigenen Weg, um mit der Situation fertig zu werden. Und Simon? Er beginnt zu verstehen, was im Inneren der alten Lady vor sich geht. Ist es zu Beginn die Angst, eines Tages selbst so herumgeschoben, nein, abgeschoben zu werden, beginnt er im Laufe der Zeit die Situation mit anderen Augen zu sehen.
Der Autor erzählt mit sehr schlichten und einfachen Worten, eine scheint´s ganz banale Geschichte. Durch die immense Empathie, die der Leser durch Simon wiederempfindet, gewährt Schwartz einen gänzlich anderen Blickwinkel in Situationen, wie sie der eine oder andere vielleicht schon erlebt hat.
Weder sonderlich dramatisch noch spannend ist dieses Buch, aber gerade das "ganz Normale" ist es, was Schwartz auf eindrucksvolle und auch nachdenklich machende Weise seinem Leser hier zeigt. Kein aufregendes, und schon gar kein innovatives Werk, aber es punktet gerade aus diesem Grund und ruft vielleicht eine leichte Beklemmung hervor, denn in so eine Situation wie Tante Ilse (oder auch Simon) wird fast jeder einmal kommen. Möge man - sollte man eines Tages Ilses Part übernehmen müssen - dann einen Menschen wie Simon an seiner Seite haben.
Eine eindrucksvolle Geschichte, die einem trotz der Einfachheit lange in Erinnerung bleibt.
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