Das schweigende Kind

  • Hanser
  • Erschienen: Januar 2012
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  • München: Hanser, 2012, Seiten: 200, Originalsprache
Das schweigende Kind
Das schweigende Kind
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Britta Höhne
601001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2012

Tage jenseits der Grenzen

Beliebt ist es gerade, Biographien zu schreiben, die keine sind. Felicitas Hoppe hat mit ihrem neuen Buch "Hoppe" eine solche vorgelegt und Raoul Schrott folgt ihr mit "Das schweigende Kind". Mit Biographie ist auch dieses Buch nicht überschrieben, sondern mit Erzählung. Wie der Titel verrät, schweigt das Kind. Aus vielerlei Gründen. Wer keineswegs verstummt ist, ist der Vater des Mädchens. Ihr erzählt er sein Leben, seine Liebe, seine Arbeit und er berichtet auch darüber, dass er nicht ganz unschuldig ist am Tod der Mutter. Alleine das Mädchen kann bezeugen, was in jener Zeit geschah. Doch das Kind schweigt, leidet an Mutismus, wie die Ärzte sagen.

Der Roman beginnt vielversprechend. In 33 Kapiteln lässt der Autor seinen mit wenig Erfolg verwöhnten Protagonisten Andreas erzählen, wie seine Vergangenheit war, er die Gegenwart empfindet und auch, was er sich für die Zukunft wünscht. Das ist stark und verheißt spannend zu werden. Doch Schrott und sein Antiheld verrennen sich da in etwas. Andreas irrlichtert herum, lässt seine Tochter Dinge wissen, die man seinen Kindern per se nicht erzählt, auch dann nicht, wenn die Beziehung eine glückliche wäre.

Der Roman beginnt mit Isas Geburt. Wenig später berichtet der Protagonist über die künstliche Befruchtung, nur mittels derer die Schwangerschaft zustande kam. Dem folgen wenige Augenblicke des Glücks. Die Mutter klammert sich an das Kind und verweigert dem Vater nahezu jegliche Treffen. Neben der künstlichen Zeugung Isas erfährt der Leser en détail über die bevorzugten Sexualpraktiken Isas Mutter. Gequält werden wollte sie. Ihre Leidenschaft war mit Schmerz verbunden. Im Beruf wie in der Liebe: Arbeitete sie doch als Aktmodell und verharrte oft stundenlang in unbequemen Stellungen. Muss eine Tochter, eine die ihren Vater kaum kennt, derartiges wissen? Verstört es sie nicht noch mehr und lässt sie weiterhin in die Stummheit abgleiten? 

Mit Kim schließlich, seiner neuen Liebe, bricht der Maler nach Kroatien auf, um dubiosen Geschäftsleuten der Balkan-Mafia den gemalten Sternenhimmel zu verkaufen. Ein Bildband solle daraus werden und dem neuen Herrscher des Landes gefallen. Die Situation in Kroatien ist undurchsichtig, surreal. Es scheint, als brauche der Autor einen weiteren Spannungsbogen. Andreas bestellt den Mord an Isas Mutter, der, wie sich zum Ende des Romans heraus stellt, doch keiner gewesen sein soll. Hier vermischen sich Opfer- und Täterrollen. Sofern es sie überhaupt gab.

Die Geschichte ist an sich schön und innig – und traurig zugleich: Der Kampf der Väter, gerade der der unverheirateten, um die Gunst der Kinder ist ein ernst zu nehmendes Thema. Dennoch vermischt Schrott zu viele Gegebenheiten miteinander, springt in den Zeiten und lässt nur Fragmente zu. Situationen, die so nichts miteinander zu tun haben. Vielmehr dienen sie Andreas zum Seelenstrip, der damit endet, dass er sich selbst verletzt, ritzt bis das Blut fließt und einem traurigen Ende entgegen sieht.

Auch sprachlich holpert der gebürtige Österreicher, der eigentlich ein Kenner der deutschen Sprache und durchaus in der Lage ist, schöne literarische Texte zu verfassen. Sätze mit "Und" beginnen zu lassen, ist dabei kein Vergehen, wenngleich es noch immer als "nicht schön" angesehen wird. Das ist der künstlerischen Freiheit und dem Stil eines jeden selbst überlassen. Oft wirkt seine Wortwahl missraten, besonders mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass er sein Leben für sein Kind aufzeichnet. Gerne wäre der Vater kindlich, zeigt sich kindlich naiv, tobt in frühen Jahren mit Isa durch die Gegend, da passt es nicht, Wörter zu benutzen, bei dem so mancher Erwachsener zum Duden greifen muss. Speziell österreichische Begriffe einmal außen vor gelassen.

Wer Homers "Ilias" übersetzt, ist ein Fachmann des Wortes, der weiß, dass es "das Ethos" heißen muss und "Abneigung für" etwas zu haben, mehr ist, als nur ein Versehen.

Das schweigende Kind

Raoul Schrott, Hanser

Das schweigende Kind

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