Die Tigerfrau

  • Köln: Random House Audio, 2012, Seiten: 9, Übersetzt: Rike Schmid & Stephan Benson
  • New York: Random House, 2011, Titel: 'The Tiger's Wife', Seiten: 352, Originalsprache
Die Tigerfrau
Die Tigerfrau
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Britta Höhne
851001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2012

Stille Post im Märchenland

"Ivy heißt Efeu, und so heißen für mich eigentlich alle Frauen", lässt der Schweizer Autor Max Frisch seinen Walter Faber im Bericht "Homo Faber" sagen. Ivy, Efeu, ein Schlinggewächs, mit unzähligen Bedeutungen, wie im "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens" nachzulesen ist. Mythologie und Aberglaube sind es auch, die in Téa Obrehts Roman "Die Tigerfrau" eine Hauptrolle spielen. Dabei dreht es sich allerdings nicht um das unverwüstliche Efeu, sondern um Kräutermixturen für schwangere Frauen, hergestellt von einem Apotheker mit bewegter Vergangenheit, dem Kaffeesatz, in dem sich der Tod zu erkennen gibt und um Weggabelungen, wo der Sensenmann höchstpersönlich auf Neuzugänge wartet.  

Der Roman der jungen, 1985 in Belgrad geborenen Autorin, fesselt. Ihre Sprache ist jung, Zynismus blitzt durch, mit Kritik spart sie nicht, aber auch leider nicht mit Geschichten in der Geschichte.

Ausschlaggebend ist, wie der Titel verrät, die Tigerfrau, die genau genommen die Frau eines Tigers ist, weshalb der Originaltitel des Buches "The Tiger`s Wife" eher zutrifft.

Als die Tigerfrau das Geschehen betritt, ist sie noch ein Kind. Mit Luka vermählt, dem Schlachter in einem Örtchen der heute Galina heißt. Taubstumm ist sie und keiner weiß, wie der zunächst musisch angehauchte Luka an die junge muslimische Frau gerät und vor allem, wieso der Schlachter so plötzlich aus dem Geschehen verschwindet. Umgebracht worden sei er, so heißt es im Dorf. Von seiner jungen Frau, die er zuvor übel misshandelt hat. Erst war der Mann weg, dann kam seine Frau zurück – schwanger. "Tigerfrau" wird sie seitdem genannt, weil sie es gewesen sein soll, die einem flüchtigen Tiger Nahrung gab. Stille Post im Märchenland. Denn: Mit jeder Wiedergabe der Geschichte, wurde sie "von nachträglichem Wissen gefärbt".

Wer das alles erzählt, ist der Großvater der Ich-Erzählerin Natalia. Einer jungen Medizinerin, die in einem Waisenhaus irgendwo in Südosteuropa arbeitet und noch auf der Fahrt dorthin vom Tod ihres geliebten Opas erfährt.

Die Geschichte von der Tigerfrau ist nur eine, die der Großvater, ebenfalls Arzt, seiner einzigen Enkeltochter erzählt. Eine weitere, zuweilen recht zynische Abhandlung, ist die des Mannes, der nicht sterben kann, die des vampirhaften Gavran Gailé. Der Großvater ist ihm mehr als einmal in seinem Leben begegnet. Wenn Arzt und Henker gemeinsam in einer vom Krieg gebeutelten Region unterwegs sind, haben beide viel zu tun. Und der Tod nimmt es mit Humor: "Wenn man jemanden unter die Erde bringt, Doktor, weiß man immer, wo man ihn findet."

Obreht, die seit ihrem zwölften Lebensjahr in den USA lebt, schafft Charaktere. Schafft Vergangenheit, Gegenwart und auch ein bisschen Zukunft. Am Ende jedoch von allem ein bisschen viel. In 13 Kapiteln plus Pro- und Epilog, unterteilt sie ihren Roman. Die Kapitel stehen nicht für sich alleine, sind miteinander alle verbunden, doch verliert sich in ihnen oft der rote Faden. Dann etwa, als die Geschichte des Apothekers erzählt wird. Oder die des Bären Darisa.

Der Roman spielt auf und mit zwei Ebenen. Die eine ist die Erzählung des Großvaters und die andere die mystische Welt, in die der Leser gleich zu Beginn eintritt. Doch leider verbinden sich die beiden Welten nicht durchgehend miteinander. Eine Ebene zwischen dem Realismus und der fantastischen Erzählung fehlt, was zuweilen zu harten Schnitten führt.

Was indes sehr gelungen ist, ist, den Roman in fiktiven Orten anzusiedeln, die offensichtlich im ehemaligen Jugoslawien mit all seinen Kriegen und Grenzverschiebungen liegen. Mit Angst, Wehmut, aber auch mit einer Art Trotz sehen die Menschen den Krieg auf sich zukommen. Befreundete Nachbarn werden Feinde, Flüsse werden Trennungslinien und auf Brücken wird gegen Teilungen demonstriert. 

Obreht berichtet sehr fein. Schildert en détail, und stellt, ähnlich wie es Walter Kempowski in seinem umfassenden "Echolot" gemacht hat, dem Krieg Alltag gegenüber: "Während Panzer auf dem Weg zur Grenze den Boulevard entlang fuhren, saß ich am Fenster und übte Rechnen." Dem Krieg trotzen – irgendwie.

Wenngleich die Geschichte um "Die Tigerfrau" nicht vollkommen ist, gebührt der jungen Autorin ein großes Lob. Sie wird es schwer haben mit einem Folgeroman: Liegen die Erwartungen nach ihrem Debüt, welches von Bettina Abarbanell ins Deutsche übertragen wurde, doch verdammt hoch.  

Die Tigerfrau

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