Alles zerstört Alles verbrannt

  • Frankfurt: S. Fischer, 2012, Seiten: 269, Übersetzt: Malte Krutzsch & Britta Waldhof
  • New York: Farrar, Straus and Giroux, 2009, Titel: 'Everything ravaged, everything burned', Seiten: 238, Originalsprache
Alles zerstört Alles verbrannt
Alles zerstört Alles verbrannt
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Lutz Vogelsang
721001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2012

Emotionale Presskohle

Als Schriftsteller kann man sich durchaus einen schlechteren Start vorstellen. Gleich mit seiner ersten Buchveröffentlichung, der Kurzgeschichtensammlung "Alles Zerstört, Alles Verbrannt", hat es Wells Tower 2009 auf die "20 unter 40"-Liste der New York Times geschafft - die Liste der 20 hoffnungsvollsten Nachwuchs-Schriftsteller der USA. Dieselbe Zeitung bescheinigte ihm darüber hinaus , das beste Buch des Jahres geschrieben zu haben. Die Kritik war beinahe ausnahmslos begeistert und hoffte, in Tower einen würdigen Nachfolger für Hemingway, Faulkner oder Carver gefunden zu haben. Nun ist das Buch auch auf Deutsch erschienen und wir können uns selbst eine Meinung zum "next big thing" der amerikanischen Literatur bilden.

Bruch mit der "klassischen" Kurzgeschichte

Und zumindest Towers Phantasie und Vielseitigkeit ist auf den ersten Blick (auch auf den zweiten!) bemerkenswert. Die Protagonisten seiner Geschichten sind mal vorpupertär, mal im Greisenalter. Die Schauplätze sind Vorstädte, beinahe entvölkerte Berge und Inseln, aber auch der Trubel eines Rummelplatzes. In der letzten der insgesamt neun Geschichten verschlägt es den Leser gar ins finstere Mittelalter auf eine Insel im Nordmeer, von der aus finstere Gestalten auf Beutezug gehen.  Dabei beschreibt er mal nur den Bruchteil eines Tages, dann wieder Wochen und Monate. Generell geht der Autor mit den althergebrachten Regeln für die "klassische" Kurzgeschichte, die mit bis zu 40 Seiten mitunter gar nicht so kurz ausfallen, recht frei um.

Auch wenn sich seine Kurzgeschichten teilweise eher wie große Kapitel eines Romans lesen – mit seiner Sprache kann Towers komplett überzeugen. Er schreibt komplex, aber nicht verschachtelt – lakonisch, aber nicht profan. Dieser souveräne Stil, den die Übersetzer toll ins Deutsche gerettet haben, ermöglicht es dem Leser, sich durch und durch der Geschichte und ihrer Figuren zuzuwenden. Und man kann aus dem Titel des Buches bereits herauslesen, dass es sich bei Towers Gestalten nicht gerade um zufriedene Erfolgsmenschen handelt.

"Als Jane mich wegen Barry Kramer verließ, hat das sehr weh getan, aber zu der Zeit war von uns beiden schon nicht mehr viel übrig." 

Towers Protagonisten sind allesamt gescheitert - im Beruf viele, im Privatleben fast ausnahmslos. Da treffen wir auf Bob, der in einer baufälligen Hütte an der Küste darauf wartet, dass seine Frau ihm seinen Seitensprung vergibt. Wir lernen Ed kennen, der von seiner Ex-Freundin genötigt wird, ihren neuen Freund in ein hunderte Kilometer entferntes Krankenhaus zu bringen, weil sie selbst ihre Meditationen nicht unterbrechen möchte. Oder Jeff, der als "junger Mann zum Mitreisen" auf einem Jahrmarkt anheuert, weil ihm sein Stiefvater in den Oberschenkel (die eigentlich anvisierten Hoden verfehlt er glücklicherweise) beißt. Verlassene Männer, Grabenkämpfe unter Geschwistern und totale Perspektivlosigkeit: Towers mutet seinen Lesern wahrlich einiges zu.

"Litt an Depressionen, die ihm lieb und teuer waren", schreibt Tower über eine seiner Figuren. Ein "Vorwurf", den man dem Großteil seiner Charaktere - und damit gleich ihm selbst - machen könnte. Obwohl jede für sich eigenständig und bildhaft gezeichnet ist, wirken die Figuren in ihrer Gesamtheit wie mit einem Stempel geschlagen. Um im Bild des Titels zu bleiben: Die Personen wirken nicht wie vom Schicksal angesengt, sondern wie emotionale Presskohle. Fast allesamt. Und bei kaum einen lässt Tower die Hoffnung aufkommen, die Situation könnte sich zum besseren wenden.

Kein neuer Carver, kein neuer Hemingway

Wells Tower ist es vielleicht doch nicht, der Retter der amerikanischen short story, zumindest noch nicht. Neben seiner leicht eintönigen Monokultur der Gescheiterten fehlt es leider an einigem, was gute klassische Kurzgeschichten auszeichnet. Die Figuren in "Alles Zerstört, alles Verbrannt" entwickeln sich nicht, Towers beschränkt sich auf manchmal wahllos wirkende Momentaufnahmen - im Gegensatz zu den alles in Frage stellenden Wendepunkten bei Hemingway. Einmal unten, immer unten: Als Leser wünscht man sich einen Silberstreif am Horizont. Towers Sprache ist wunderbar, aber er versteht sich nicht besonders gut darauf, zwischen den Zeilen viel zu transportieren. Mit etwas mehr Prägnanz und aussagekräftigeren Bildern könnte er den Eindruck vom Tisch wischen, dass seine Geschichten wie Auszüge aus viel umfangreicheren Erzählungen wirken. So bleibt beim Leser der Verdacht, Tower Wells` besseres Betätigungsfeld könnten Romane sein. Wie gut, dass er momentan an seinem ersten schreibt. 

Alles zerstört Alles verbrannt

Wells Tower, S. Fischer

Alles zerstört Alles verbrannt

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