Dich sah ich

  • Oktober
  • Erschienen: Januar 2011
  • 1
  • Münster: Oktober, 2011, Seiten: 300, Originalsprache
Dich sah ich
Dich sah ich
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Kathrin Plett
701001

Belletristik-Couch Rezension vonMai 2012

Tabuisierte Liebe grenzenlos

Eine Liebesgeschichte, die schon von Beginn an aussichtslos erscheint und ein Tabu überschreitet: Die Liebe zwischen Schüler und Lehrerin. Gebrochen wird dieses Tabu in Michael Molsner neuestem Roman "Dich sah ich", in welchem er die Liebe zwischen einer jungen Referendarin und ihrem Deutschschüler im Deutschland der 60er Jahre beschreibt.

Charmaine Bell und ihr Schüler Ratys führen eine Liebesbeziehung. Beiden ist bewusst, welches Risiko sie dabei eingehen. Die Liebe findet nur im verborgenen statt, geheim, da die Gefahr aufzufliegen allgegenwärtig ist und ungeheure Konsequenzen mit sich bringen würde.

Dennoch: Ihre Liebe ist pure Erotik, die körperliche Anziehung beider aufeinander scheint magisch. Als ihre Wege schließlich auseinandergehen, will es der Wink des Schicksals, dass sie sich zufällig wieder begegnen. Obwohl Charmaine inzwischen Ehefrau und Mutter dreier Kinder ist, stürzen sich beide erneut in eine wilde Affäre und setzten ihre Liebe im Verborgenen fort. Beide können nicht ohne einander leben, obgleich sie sich beide scheinbar in glücklichen und stabilen Partnerschaften befinden.

Geschickt schaffen sie es, ihre Affäre fortzusetzen, planen Karriere entsprechend und integrieren sich und ihre Partner gegenseitig in ihr Leben. Doch auch darüber hinaus begeben sich beide durch ihr politisches Engagement in Gefahr, bis Charmaine nach einem Anschlag ins Koma fällt. Doch selbst hier ist es die gegenseitige Liebe, die vielleicht ja Wunder bewirken kann.

Michael Molsner hat mit seinem Roman "Dich sah ich" eine Geschichte erfunden, die sich deutlich von gängigen Liebesromanen abhebt. Nicht nur, weil die Liebe, wie sie gelebt wird, alles andere als gewöhnlich ist und sowohl in ihren Anfängen, eine Beziehung zwischen Schüler und Lehrerin, als auch in ihrem weiteren Verlauf als Daueraffäre, den hiesigen Moralvorstellungen gänzlich widerspricht. Die Art und Weise, wie Molsner die Beziehung der beiden beschreibt, lässt den Leser die Umstände der Liebe schnell vergessen. Durch großes Sprachgefühl lässt er die knisternde und geladene Erotik zwischen den beiden Protagonisten so spürbar werden, dass es offensichtlich ist, dass es für die beiden keine andere Option besteht, als ihre Liebe zu leben. 

Sprache spielt auch innerhalb des Romans eine entscheidende Rolle. Die Sprache der Liebe, die für die beiden eine neue Bedeutung bekommt, wie Ratys beschreibt: "In der Reihe unserer paradiesischen Nachmittage hast du mich ein Deutsch gelehrt, das in keinem Schulbuch steht. Es war deine eigene, von dir erfundene Sprache der Liebe."

Der Autor lässt Ratys rückblickend erzählen. Chronologisch gibt der am Ende des Romans schon stark gealterte Mann rückblickend wieder, wie er die Beziehung zu Charmaine erlebt hat - bei ihr am Krankenbett sitzend. Er richtet sich an sie, an die Leser, sinniert aber auch mit sich selbst, was dem Roman einerseits eine besondere Tiefe und Innigkeit verleiht, die Geschichte aber andererseits auch stellenweise schwer verständlich werden lässt. Er erzählt in der dritten Person, allzu oft ist die mit "er" bezeichnete Person fraglich: Der Erzähler selbst? Der Ehemann von Charmaine, weitere Gesprächspartner? Die vielen zeitlichen Wechsel und Sprünge und auch die Sprünge zwischen den Szenen wirken für das Verständnis diesbezüglich erschwerend. Auch die geschichtlichen Hintergründe sind teilweise unverständlich, gerade für Leser, die die Zeit der 68er Revolte nicht miterlebt haben, so dass der Text in sich nicht mehr schlüssig erscheint.

Alles in allem ist Molsner ein Roman gelungen, welcher vor allem durch seine sprachliche Raffinesse, aber auch durch inhaltliche Tiefe und Gefühl überzeugt. Teilweise etwas langatmig bietet er vor allem Lesern, die auch geschichtspolitisch interessiert sind, eine spannende Lektüre, die ohne die üblichen Klischees auskommt und nicht dem gängigen Mainstream folgt.

Ein außergewöhnlicher Roman, der durchaus seine Liebhaber finden wird.

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