Familienroman, Krimi und Liebesgeschichte in einem
Imma ist versteckt, versteckt wie Anne Frank, die ihr in einem ihrer Bücher begegnet. Wie Anne ihre Tagebuchfreundin Kitty hat, hat auch Imma einen imaginären Freund, ihren verstorbenen Hund. Das ist alles, was ihr aus ihrem alten Leben geblieben ist. Imma musste fliehen, denn sie wird gesucht. Und gefunden zu werden, würde den sicheren Tod bedeuten. Aber Imma will frei sein, erst recht als sie Paolo begegnet.
Doch Margherita Oggero erzählt nicht nur die Geschichte der dreizehnjährigen Imma, sondern gleichzeitig auch die ihrer Großfamilie und die der verworrenen Beziehungen innerhalb eines kleinen italienischen Dorfes, in welchem die Bande der Mafia, Rache und Beziehungen noch von großer Bedeutung sind.
Imma lebt versteckt bei ihrer "Extante", wie sie ihre Tante Rosalie, die geschiedene Frau ihres Onkels, nennt, die ihr das Leben schwer macht. Sie darf die Wohnung nicht verlassen, denn sie wird verfolgt und steht auf der Mordliste eines Clans ihres Dorfes ganz oben. Denn: Sie hat etwas getan, was die Ehre des Sohnes - des obersten Bosses - beschmutzt hat.
Ursprünglich lebte Imma mit ihrem Onkel, dessen Frau und Tochter nach dem Tod der Mutter bei ihren Großeltern. Zu ihrem Vater, einem bei der Familie in Ungnade gefallenen Frauenheld, hat sie kaum Kontakt. Imma kommt ganz nach ihrer verstorbenen Mutter: Sie liebt ihre Freiheit, träumt in den Tag hinein und findet, dass es besseres zu tun gibt, als die Zeit in der Schule zu verbringen, um in ihren Augen unnütze Dinge zu lernen. Beispielsweise sich an der Natur erfreuen, und den "Duft von Erde und Zitronen" zu riechen.
Bei einem ihrer Streifzüge passiert es dann, sie wird Zeugin eines Verbrechens, was darin endet, dass sie selbst zur Gefangenen wird. Während dieser Gefangenschaft trifft sie nicht nur ihre erste Liebe, entdeckt ihre Familiengeschichte und entwickelt eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrer Tante, sondern bekommt auch den Mut, sich ihrem eigenen Schicksal zu widersetzen.
Margherita Oggero gelingt mit ihrem Roman eine Story, die sich nicht nur durch sympathische Figuren und eine abwechslungsreiche Handlung auszeichnet, sondern darüber hinaus eine ungewöhnliche Erzählstruktur aufweist. Die Autorin hat eine Geschichte konzipiert, die sich durch viele verschiedene, zunächst scheinbar unabhängige und losgelöste Stränge, zusammensetzt. Sie beschreibt nicht nur Immas aktuelle Situation, sondern beschreibt unterschiedliche Abschnitte ihres Lebens, aber auch Episoden aus dem Leben ihrer Großeltern, ihrer Onkel, Tante oder Mutter fließen in die Handlung ein. Vergleichbar mit einem Puzzle, fügen sich die unterschiedlichen Teilchen immer mehr zusammen, scheinen sie erst keinen Sinn zu ergeben, wird schließlich ein Ganzes aus ihnen. Die Erzählung Oggeros bekommt auf diese Weise eine Vielschichtigkeit, die es dem Leser ermöglicht, eine umfassende Sicht auf die Handlung, das Verhalten und die Situation Immas zu bekommen. Obwohl Imma eindeutig die Protagonistin ist, werden auch die anderen Figuren auf diese Weise besonders greifbar. Jede einzelne der Personen rückt stellenweise in den Mittelpunkt, so dass der Leser die Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven und zu unterschiedlichen Zeiten präsentiert bekommt.
An diese Wechsel orientiert, ändert sich auch der sprachliche Stil Oggeros und die Erzählperspektive.
Immas Abschnitte werden in der "Ich"-Perspektive erzählt. Imma berichtet scheinbar selbst, lässt dabei ihre Gedanken und Gefühle einfließen, wenn sie zurück blickt, oder über ihre momentane Lage nachdenkt. Wortwahl und Ausdruck sind dem eines jungen Mädchens nachempfunden, was den Anschein von Authentizität erzeugt. Die Textstellen der anderen Personen werden distanzierter, von außen, wiedergegeben, wobei jedoch auch Gefühle und Gedanken der Figuren zur Sprache kommen, so dass eine gewisse Nähe für den Leser entstehen kann.
Dadurch, dass der Leser erst nach und nach mehr über das eigentliche Geschehen erfährt, welches Immas Gefangenschaft zu Grunde liegt, bekommt die Geschichte Spannung und zieht den Leser mit: "Was kann Imma verbrochen haben, was ein solches Versteckspiel erforderlich macht?", ist die Frage, die dabei immer mehr in den Fokus rückt.
Oggero ist mit ihrem Roman "Der Duft von Erde und Zitronen" eine Geschichte gelungen, die nicht nur durch eine sympathische Protagonistin, sondern vor allem durch ihren ungewöhnlichen Aufbau überzeugt. Sie hat ihre Handlung sozusagen von hinten nach vorne verlaufen lassen und in verschiedenen Stufen und Ebenen aufgebaut, ohne dabei jedoch den roten Faden zu verlieren, oder den Leser zu überfordern. Immas Geschichte bietet dem Leser mehr als die Geschichte eines jungen Mädchens, welches vom Schicksal gebeutelt wurde. Immas Geschichte vereint Familienroman, Krimi und Liebesgeschichte. Wie das funktionieren kann, zeigt Oggero in ihrem empfehlenswerten Buch.
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