Auf dem Boulevard
Wofür hat dieser Roman nicht alles herhalten müssen? Wer über Oscar Wilde nachdenkt, mag darin die Spiegelungen eines komplexen Ichs sehen, der in Dorian Gray seinen eigenen Untergang heraufbeschwört. Wem zu unserer Zeit nichts Besseres einfällt, erhebt den Narzissmus darin zum Programm und ergötzt sich an dessen perfidem Sturz. Trotz allem modernen Unkenrufen: Die Schönheit ist vergänglich.
Die Menschen bleiben nur für eine kurze Zeit so makellos, wie sie es gerne von sich glauben wollen. Dann beginnt das Altern, dann zerfressen Reue, zerschellte Träume die Hoffnungen, graben Machtspielchen, Eifersucht und Niederlagen einem Furchen ins Gesicht. Die Religiösen mögen den Zeigefinger erheben und von sich behaupten, es schon immer gewusst zu haben, dass die Sünden sich am Ende rächen. Deswegen sei es besser, ohne sie auszukommen. Doch auch bei ihnen wird neben dem Kreuz ihr Porträt hängen.
Oscar Wilde war der virtuose Magier des Verfalls, der einfach nicht begreifen will, dass die Zeit alles mit sich reißt. "Das Bildnis des Dorian Gray", das eines Tages in einem Atelier auftaucht, die unbefleckte Schönheit eines Menschen einfängt, ist von so berauschender Anmut, dass sowohl der Maler, wie der Portraitierte, wie alle Personen um sie herum sich ihm auf einer burlesken Bühne hingeben.
Es geht um Freude, Lust, Genuss, Begierden und um Egoismus. Egal, ob es eine 17jährige Schauspielerin ist, in die sich Dorian Gray verlieben wird und ihr sogleich den Rücken kehrt, wenn sie auf der Bühne ihren Zauber verliert. Egal, ob Lord Henry Wotton als väterlicher Freund aus snobistischen Absichten versucht, Dorian Gray nach seinem eigenen Vorbild zu formen. Egal, ob der Maler vor seiner eigenen Schöpfung zurückschreckt und vorgibt, dass es sich bei seiner Kunst nur um das Auftragen von Farbe auf Leinwand handelt. Die Dekadenz regiert. Menschen ohne Lebensinhalt füllen ihre Leere. Zeigen sich angezogen von etwas Vollkommenen, von Abstraktem, von Unbeflecktem. Sie betrachten Schönheit als Offenbarung und hegen doch alle nur den Wunsch, sich von ihrem eigenen Leben trennen zu können, um jemand anderes zu sein.
Der Stückeschreiber Oscar Wilde baut in "Das Bildnis des Dorian Gray" eine faszinierende Szenerie der Kulisse auf, aus der seine Figuren treten und in die sie widerwillig verschwinden müssen. Mit leichter Hand legt er ihren Narzissmus bloß. Sie alle sehnen sich danach, mit ihrem bescheidenen Leben ins Scheinwerferlicht zu treten, damit sie bemerkt werden. Und sei es nur, um aus dem Schatten heraus sich am Glanz eines Dorian Grays zu wärmen.
Wie in einem Groschenroman tauchen Motive von Blutrache, verblendeter Liebe, von falschen Hoffnungen und sich selbst vernichtenden Gelüsten auf. Was bei Shakespeare zum Königsdrama reift, glänzt bei Oscar Wilde als Boulevardtragik durch. Die Schauspielerin wird irgendwann eingestehen müssen, dass sie nur deswegen so gut war, weil sie das Theaterspielen für das wahre Leben hielt. Um danach zum Gift zu greifen. So wie Julia es bei Shakespeare tat. Doch bei Wilde hat dies eher operettenhafte Züge.
Bis zu diesem Punkt hätte es eine seiner beschwingten Komödien der Verstellungen wie in "Bunbury, oder Ernst sein ist alles" werden können. Voll scharfem Biss, ausgelaugt von standesdünkelndem Sarkasmus einer hohlen Gesellschaftsschicht, die nichts mit sich anzufangen weiß, außer über sich zu tratschen.
Doch dann entdeckt Dorian Gray, wie sich sein Porträt verändert. Wie es gleichermaßen auf ihn reagiert. Es wirkt auf einmal nicht mehr rein, weist eher einen Zug von Erbarmungslosigkeit auf. Je mehr er sich der Zügellosigkeit hingibt, umso mehr erschreckt er vor seinem Bildnis. Er versteckt es vor dem Maler, will niemanden den eigenen Verfall zeigen, der sich darin abzeichnet. Aber er ist auch nicht imstande, es zu vernichten.
An seinem 38. Geburtstag hat sich sein Gesicht in das Abbild eines Satyrs verwandelt und Gray ersticht aus Hass den Maler, der ihm das angetan hat. Anschließend beseitigt er alle Spuren und sucht von nun an Zuflucht in der Hässlichkeit. Er wird keine Ruhe finden. Er fühlt sich verfolgt, von sich selbst gehetzt wie ein Tier. Sein Porträt wird am Ende einen Heuchler zeigen, der auf der Suche nach der eigenen Seele verkommen ist.
Wie elegant Wilde jedoch gegen Ende seines Romans einen Schlenker setzt, der der Kunst, der Malerei zum Sieg über das Leben verhilft, soll hier nicht verraten werden. Nur dass dieser erstaunliche Roman, nichts von seiner gnadenlosen Frische, seinem unerbittlichen Ringen mit sich verloren hat.
Er kommt daher, als erzähle er eine Geschichte aus einem vergangenen Jahrhundert und wie alle meisterhaften Romane verstört er uns Leser, weil seine Geschichte es nicht zulässt, dass wir so tun, als würde sie uns nichts angehen.
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