Gleitflug

  • Insel
  • Erschienen: Januar 2012
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  • Berlin: Insel, 2012, Titel: 'Gleitflug', Seiten: 448, Übersetzt: Andreas Ecke
Gleitflug
Gleitflug
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Romy Fölck
791001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2012

Der mit den Gänsen flüstert

Eines der ersten großen Abenteuer im Leben ist die Pubertät, das Verwischen der Grenzen zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Wer kann sich nicht daran erinnern, an diese Unsicherheit, an das Anecken mit den Erwachsenen, an die ersten Geheimnisse und das sexuelle Erwachen des Körpers? In "Gleitflug" steckt Anne-Gine Goemans ihr Setting um einen pubertierenden Teenager ab und schafft leichthändig den Spagat zwischen einem Jugend- und Erwachsenenroman, ohne sich für eine Leserschaft entscheiden zu müssen.

Das Leben des vierzehnjährigen Gieles, der mit seinem Vater und seinem Onkel neben einem Flughafen lebt, und dessen Mutter sich die meiste Zeit des Jahres auf wohltätiger Mission in Afrika befindet, ist recht unkonventionell. Er wohnt mit seinem Vater, der die Landebahnen vor Vogelschwärmen schützen soll und seinem Onkel, der einen Campingplatz für Flugzeugfreaks betreibt, in einer Siedlung, in der nur noch die hartgesottensten Einwohner verblieben sind, seit die neue Landebahn gebaut wurde. Fluglärm und Dreck sind für sie alltäglich. Aber nicht nur Gieles´ Wohnort ist außergewöhnlich, auch sein Hobby. Denn er züchtet und trainiert Gänse. Der kleinsten und begabtesten Gans "Wallie" bringt er sogar Tischtennis bei und schafft es damit bis in die Zeitung. Dass Gieles Gänse liebt, während sein Vater als Flughafenförster in Gefahrensituationen sogar Vögel abschießen muss, schafft ein großartiges Spannungsmoment.

Allein die Grundidee um den Jungen und seine Gänse setzt Goemans souverän und sehr unterhaltsam um. Aber damit nicht genug. Über Gieles´ Geheimnis, der seine Gänse für eine "Geniale Rettungsaktion 3032" trainiert, stachelt sie die Neugier des Lesers an. Nicht nur Gieles, auch die Nebenfiguren sind gut gewählt: So lernt der Junge im Internet das Mädchen Meike kennen, eine Gleichaltrige mit Dreadlocks und Piercing, die schließlich von ihren Eltern davonläuft, bei Gieles´ Familie einzieht und ihn zu ersten sexuellen Phantasien animiert. Auch der übergewichtige Super Waling, ein ehemaliger Lehrer, den Gieles zufällig kennenlernt, als dieser mit seinem Elektromobil festsitzt, wird schnell eine feste Größe. Denn Super Waling, der unserer mit Vorurteilen behafteten Gesellschaft den Spiegel vorhält, ist nicht nur ein hochsympathischer und intelligenter Gesprächspartner, er hat auch eine tragische Geschichte im Gepäck.

Die 1971 geborene Journalistin Ane-Gine Goemans, die 2008 für ihr Debüt "Ziekzoekers" den Anton-Wachter-Preis erhielt, zeichnet die pubertierenden Figuren mit ihren Pickeln, Autoritätsproblemen und Sexphantasien so authentisch und humorvoll, dass man sich sofort heimisch fühlt, in diesem turbulenten Haushalt, in dem die Gänse lautstark ihren Platz behaupten. Der Roman, der gemächlich startet, nimmt schnell Fahrt auf und gewinnt an Tiefe durch den abgefahrenen Plan eines pubertierenden Jungen, mit dem er seine Mutter nach Hause holen will, durch die tiefe Liebe zu vier Gänsen und die Lebensgeschichte eines Dicken, an der er mehr als an seinem Übergewicht zu schleppen hat.

Weitere Erzählebenen der Autorin, in denen man einiges vom harten Kampf der Vorfahren um die Trockenlegung des Landes erfährt, sind informativ; gebraucht hätte die außergewöhnliche Grundidee sie jedoch nicht. "Gleitflug" ist eine dieser wunderbar erzählten Geschichten, von der man sich eine Fortsetzung wünscht: ebenso warmherzig, mitreißend und amüsant! Wenn man da mal nicht auf die Gans kommt…

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