Die Heilige Stadt
- Berlin Verlag
- Erschienen: Januar 2012
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- Berlin: Berlin Verlag, 2012, Titel: 'Die Heilige Stadt', Seiten: 208, Übersetzt: Hans-Christian Oeser, Paulina Abzieher
No Milk today
Wenn ein alternder Playboy auf seine Vergangenheit blickt, darf natürlich ein Lobgesang auf die wilden Sechziger nicht fehlen. Bunt, etwas wirr und großzügig mit Phantasie ausgestopft, so kommt die Geschichte des in die Jahre gekommenen Helden in Patrick McCabes "Die Heilige Stadt" daher.
"Chris J. McCool – stets zu Diensten, nennen Sie mich einfach Pops."
McCool ist 67 Jahre alt und äußerst zufrieden mit seinem Leben. Er sieht gut aus für sein Alter, "schneidig" nennen ihn die Leute. Er lebt in einem frisch renovierten Appartement mit seiner jungen kroatischen Frau. Immer wieder besucht das "Dolce-Vita-Pärchen" den Happy Club, wo McCool die Sechziger wieder aufleben lässt. Und dazwischen plaudert er nur zu gern aus seinem bewegten Leben.
Je mehr man in seine Geschichten eintaucht, desto mehr tun sich Abgründe auf. Wer ist dieser McCool? Ein alternder Dandy? Ein Träumer? Ein Schläger? Oder gar ein Verrückter?
Zumindest ist er Ire und ein "Bastard", der uneheliche Sohn einer aristokratischen Protestantin, die sich mit einem Katholiken einließ. Als Kleinkind wird McCool vom Anwesen Thornton Manor abgeschoben und wächst bei einer bäuerlichen Pflegemutter auf. Sie bringt ihm bei, was er über das Landleben wissen muss. Als sie Jahre später stirbt, übernimmt er das "Nook", sein eigenes Cottage. Er beliefert die Läden mit Eiern und führt ein ruhiges Leben - bis die Sechziger anbrechen "eine magische, eine geradezu märchenhafte Ära", die "dazu bestimmt war, uns eine Fluchtroute zu bieten" von der "vorsintflutlichen Welt".
McCool kauft sich einen Plattenspieler und reißt reihenweise Frauen auf. Musik und die Literatur der Sechziger bestimmen sein Leben. Ob die Beatles, Ronettes, Ray Charles, Lulu… alle tauchen auf dieser Zeitreise auf. Bald hat man beim Lesen seinen Lieblingssong "No Milk Today" von den Herman´s Hermits auf den Lippen. James Joyce und Robert Louis Stevenson gehören in dieser Zeit zu seinen literarischen Göttern.
Die Begegnung mit dem hochfrommen Nigerianer Marcus Otoyo wird für McCool bald zur fixen Idee. Der "Niggerjunge", der sich wie der "Fürst der Stadt" benimmt, verschlägt dem Playboy glatt die Sprache. Er vergöttert ihn, hegt ihm gegenüber sexuelle Gefühle und will an dessen "außergewöhnlich frommer Leidenschaft" teilhaben. Aber Marcus Otoyo bleibt für ihn unerreichbar.
Erst als McCool die blonde Sängerin Dolores "Dolly" kennen lernt, scheint er sich zu fangen. Sie ist die heißeste Braut der Stadt, ein It-Girl und er verfällt ihren weiblichen Reizen. Er wird ihr "Mr. Wonderful". Als er Dolly ausgerechnet mit dem Schwarzen Otoyo ertappt, bricht für ihn eine Welt zusammen. Ob er deshalb im "Weißen Zimmer" einer Nervenheilanstalt landet? Wer weiß das schon. Vieles bleibt verworren in diesem Roman.
"Die Heilige Stadt" ist ein turbulentes Puzzlespiel, ein Hin- und Herpendeln zwischen der Gegenwart und den Swinging Sixties, die McCool anfangs allzu gern hochleben lässt, alsbald jedoch als narzisstisch, verschwenderisch, selbstgefällig und kurzlebig abtut. Die kulturellen Gegensätze von irischen Protestanten und Katholiken werden auf jeder Seite offenkundig. Eine riesige religiöse Kluft, die McCool Zeit seines Lebens nicht überwinden kann. Dass er irgendwann die Wände einer Kathedrale beschmiert, ist da wohl nur eine Konsequenz seiner Zerrissenheit.
McCabe, der 1955 in Irland geboren wurde und mit seinen Werken schon mehrfach für den Booker Prize nominiert war, hat ein Fable für die schwarze Komödie und abgefahrene Typen. Mit C. J. McCool bleibt er sich treu und rechnet erneut gnadenlos ab: mit kirchlicher Intoleranz, übertriebenem irischem Standesdünkel und allzu verbohrtem Kleingeist. Dennoch: Wer die Sechziger nicht kennt, könnte Mühe haben, einen Zugang zu diesem Roman zu finden. Schon, weil McCool wenig sympathisch erscheint und ein Teil seiner Geschichten wirr erzählt wird. Eine Faszination wird das Buch eher für die Generation entfalten, die den Geruch der Sechziger noch in der Nase hat und sich an diese wilde Ära, ihre Musik und Literatur mit einem leicht nostalgischen Gefühl erinnern kann.
"Das Gute am Alter ist, dass man endlich einen klaren Blick auf die Dinge hat. Man blickt zurück auf sein Leben, und was man sieht, ist eine Komödie."
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