Hippiekult und Holocaust
Lola Bensky, die Heldin des gleichnamigen Romans von Lily Brett, besitzt eine außergewöhnliche Gabe: eine entwaffnende Naivität. Sie ist neunzehn Jahre alt, Journalistin eines australischen Rockmagazins und sie schafft es, im London, New York und Kalifornien der Roaring Sixties Musiker wie Jimi Hendrix, Mick Jagger oder Janis Joplin zu interviewen und dabei in sehr persönliche Gespräche zu verwickeln.
Die unerwarteten Wendungen, die ihre Interviews nehmen, überraschen am allermeisten sie selbst. Sie spricht mit Jimi Hendrix über Gott und Lockenwickler, mit dem ordnungsliebenden Mick Jagger über Eltern und Diäten und mit Janis Joplin über Einsamkeit und das Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Aber in "Lola Bensky" entwirft Lily Brett, die 1946 als Kind jüdischer Eltern in einem Vertriebenenlager in Deutschland geboren wurde, nicht nur ein tragikomisches Panorama der sechziger Flower-Power-Jahre. Sie erzählt auch mit großer (Selbst)-Ironie von der schwierigen Selbstfindung der Lola Bensky, von zwanghaften Diäten, Depressionen, Scheidung, Panikattacken, hinter denen in meist flüchtig angedeuteten Szenen das Grauen der Konzentrationslager lauert.
Lola Bensky, die mit der Autorin Lily Brett nicht nur die Namensähnlichkeit, sondern auch biographische Details teilt, ist das Kind polnischer Juden, die das Konzentrationslager Auschwitz überlebten. Lolas traumatisierte Eltern wandern zwar nach Australien aus, aber besonders ihre Mutter lebt in einer Welt der Toten, die "in ihrem Herzen den größten Platz einnehmen".
Während die Journalistin Lola Bensky ihre Interviews in der Hippiewelt führt, ist sie mit ihren Gedanken häufig ganz woanders, bei ihren Eltern, ihren eigenen Problemen, bei der Planung ihrer nächsten Hungerkur, die sie ganz bestimmt bald in Angriff nehmen wird. Lola braucht lange, bis sie erkennt, warum sie dick ist und sich zwanghaft mit fruchtlosen Diäten beschäftigt.
Mit "Lola Bensky" hat Lily Brett keinen streng komponierten Handlungsroman, sondern eine locker geknüpfte Abfolge atmosphärisch dichter, klug beobachteter Szenen geschrieben: Lolas Begegnungen mit Rockgrößen, Lolas jüdische Hochzeit, Lolas Besuch des legendären Monterey Pop Festivals von 1967 in Kalifornien, auf dem sie sich vollkommen fehl am Platze fühlt, das Wohltätigkeitsdinner in New York, wo die gealterte Lola zu ihrer Überraschung noch einmal auf Mick Jagger trifft.
Lily Bretts Stil wurde häufig mit dem von Woody Allen verglichen, sie habe denselben typisch jüdischen Humor. Wie dem auch sei, die Ironie der Autorin ist niemals zynisch oder bitter, sie betrachtet ihre Figuren immer mit großem Wohlwollen. "Lola Bensky" ist ein ungeheuer komischer Roman, bei dem es viel zu lachen gibt, und der seine Leser mit einem sehr versöhnlichen Blick auf unsere Welt entlässt.
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