Komm

  • Hanser
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
  • München: Hanser, 2012, Titel: 'Komm', Seiten: 160, Übersetzt: Peter Urban-Halle
Komm
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Wolfgang Franßen
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Belletristik-Couch Rezension vonJun 2012

Wenn das Leben zum Essay wird

Was vermag die Kunst? In welcher Verantwortung steht sie? Wo verlaufen die Grenzen zwischen der Realität und dem, was wir uns vorstellen? Je weiter sich Janne Tellers Roman entwickelt, verfängt er sich immer mehr in Fragen, die sich aus Fragen ergeben und in neuen Fragen münden, ohne dass sie sich beantworten lassen. In diesem Frühjahr ist Padget Powells furioser "Roman in Fragen" erschienen, eine Art Checkliste, die nicht nur unsere Beobachtungen sondern auch unsere Werte hinterfragt. Soweit geht Janne Teller nicht.  Sie vertraut ihre Fragen tiefsinnigen Antworten an.

Einem Verleger liegt das neue Manuskript eines seiner Erfolgsautoren vor, das er in Kürze herausgeben will, als Petra Vinter, gleichfalls Autorin des Verlags, auftaucht und behauptet, die Geschichte habe der Autor von ihr gestohlen. Gerade in Zeiten des Streits um das Persönlichkeitsrecht eine brisante Frage. Darf ich die Erlebnisse einer UNO-Beauftragten in Afrika ausschlachten, um daraus einen Roman zu schneidern? Gilt nicht die Maxime, dass jedes Leben geschützt ist, wenn es zu persönlich wird, um davon zu erzählen? Brecht hat sich darum wenig geschert. Maxim Biller ist mit seiner "Ezra" vor Gericht gescheitert.

Die dänische Schriftstellerin Janne Teller arbeitete selbst als Beraterin für die UNO in Dar-es-Salaam. Ihr Jugendroman "Nichts" provozierte kontroverse Stellungnahmen. Es verwundert deswegen nicht, dass der Verleger in ihrer Geschichte, der eine Rede über die Verantwortung der Literatur vorbereitet, sich fragt, wann das Erzählen über die Marktgesetze der Buchbranche sprengt.

Nur leider driftet die Geschichte nach vielversprechendem Anfang in einen pseudo-philosophischen Thesenroman ab, der trotz aller Härte des persönlichen Schicksals von Petra Vinter, in einem Fragenkatalog einbricht.

Der Zweifel, was erlaubt ist, was unter freiwilliger Selbstzensur stehen sollte, lastet so schwer, dass der Erzählfluss stockt.

Wem gehört Petra Vinters Geschichte, die sie selbst nie erzählt hat? Mit der aber nun die Öffentlichkeit gesucht wird und die Geld einbringen soll. Sie war Opfer einer Massenvergewaltigung in dem fiktiven afrikanischen Land "Morenzao" und hat darüber geschwiegen. Auch um Maktuba, den frisch gewählten Präsidenten zu schützen, weil unter den Tätern vier seiner Leibwächter waren. Dieses persönliche Schicksal wird in dem neuen Roman des Erfolgsautors ausgeschlachtet. Auch wenn er statt der 23 Vergewaltigern nur fünf anführt. Petra Vinter überlässt die Entscheidung über die Veröffentlichung dem Verleger und stößt damit in Nöte.

"Einem anderen eine Idee oder eine Geschichte zu stehlen macht einen zum Dieb. In den meisten Welten würde man dafür verurteilt und bestraft. In der Welt der Kunst kommen die meisten ungeschoren davon."

Ein brisantes Thema. Auch weil das Opfer bewusst geschwiegen und die Last der Tat auf sich genommen hat. Es ist für Leser leicht zu urteilen, was hätte das für eine brillante Geschichte werden können, wenn eine Autorin es uns überlassen hätte, die Fragen herauszufiltern, die sie uns im Roman geradezu aufdrängt. Gleichermaßen als Absicherung, dass wir es auch wirklich begreifen werden.  Fragen, die so offenkundig als Pamphlet gestellt werden, werden leider auch leicht abgehakt.

So bleibt nach dem schmalen Roman das Missvergnügen zurück, dass wir gerne mehr über Petra Vinter hätten wissen wollen. Mehr über die gescheiterte Ehe eines Verlegers, der mit einer einflussreichen Politikerin und Verlegertochter verheiratet ist. Diese durchaus spannende Geschichte ist zu skelettiert. Der persönliche Scheideweg, den der Verleger beschreitet, bleibt diffus, leidet unter der Last eines Überbau.

            "Wir entscheiden selbst, wer wir sind",

schreibt Janne Teller. Wirklich?

Auch so eine Frage.

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