HimbeerToni

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2010
  • 1
  • München: Piper, 2010, Titel: 'Himbeer-Toni', Seiten: 224, Originalsprache
HimbeerToni
HimbeerToni
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Andreas Kurth
701001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2012

Alt-Punker in Seelennöten

In den biografischen Anmerkungen zum Autor erfährt der geneigte Leser, dass Joachim Seidel selbst Punk-Musik gemacht hat. Eine seiner Singles soll sogar eine Legende sein und in den USA nach 20 Jahren wieder auf den Markt gefunden haben. Da liegt mehr als die Vermutung nahe, dass HimbeerToni einiges an Autobiografischem enthält. Denn seine Schilderung der Hamburger Szeneviertel, die authentische Sprache und die liebevolle Beschreibung der mehr als schrägen Charaktere zeigt, dass Seidel ganz genau kennt, was er da seinem Leser präsentiert. Und die Single der Band Remo Smash – Seidels Band hieß Remo Voor – trägt im Buch den gleichen Namen wie im richtigen Leben: "Toilet Love".

Als Ich-Erzähler Anton Hornig nimmt der Autor den Leser mit in eine völlig andere Welt. Wer selbst in Hamburg gelebt hat, und die hohe Zeit des Punk am Beginn der 80er Jahre miterlebt hat, wird das äußerst unterhaltsame Buch mit noch größerem Genuss lesen. Aber es ist für die Lektüre keinesfalls notwendig, Insider zu sein. Denn von der ersten Seite an sorgt Joachim Seidel für perfekte Unterhaltung, weil es bestens versteht, das Lebensgefühl seiner alternden Punker-Kumpels nachvollziehbar zu schildern. Dabei bedient der Autor natürlich auch etliche Klischees. Das scheint ihm allerdings nichts auszumachen, im Gegenteil, ich hatte bei der Lektüre das Gefühl, er legt es sogar darauf an und nutzt das Déja vu  der Leser als probates Stilmittel.

Anton "HimbeerToni" Hornig, der stets flache Witze über seinen Namen ertragen muss, plant ein echtes Revival-Wochenende. Mit den gealterten Mitgliedern von Remo Smash will er das 25-jährige Jubiläum der Formation feiern - und dabei soll es noch mal so richtig krachen. Aber dann macht das Leben ihm einen fetten Strich durch die Rechnung. Seine Geliebte Ada, mit der er bislang in harmonischer Distanz lebte, ist plötzlich süchtig nach der Gründung einer Familie. Sie ist in der zehnten Woche schwanger, und Toni steht vor einem kaum zu bewältigenden Problem. Dabei hat er davon bereits genug. Seine Name ist da noch ein zu vernachlässigendes Thema, aber er ist über 40 Jahre alt, hat noch nichts für die Nachwelt hinterlassen – und vieles mehr. Und nun noch der in seinen Augen höchst überflüssige Beziehungsstress mit Ada.

Zu allem Überfluss nervt ihn Kumpel Holgi – auch mit dem Namen wird wieder ganz wunderbar ein Klischee bedient – mit seinen krummen Ebay-Geschäften und dem damit verbundenen Stress mit Kunden und Polizei. Und die übrigen Band-Mitglieder sorgen auch nicht gerade für Entspannung. Herr Blümchen hat offenbar recht finstere Pläne, die Toni und dem Leser erst nach und nach enthüllt werden. Kurtchen ist seit Wochen verschollen, und als er doch auftaucht, stellt sich heraus, dass seine Seele gerade Achterbahn fährt – er ist überaus unglücklich verliebt. Der Gipfel des Ganzen ist, dass Tonis Intimfeind, der nervige Polizist Schangeleidt, den Alt-Punk seit längerer Zeit auf dem Kieker  hat und ihn jetzt unbedingt hinter schwedische Gardinen bringen will.

Joachim Seidel bietet seinen Lesern mit HimbeerToni eine überaus vergnügliche Lektüre. Augenzwinkernd wird dabei die Musikszene insgesamt auf die Schippe genommen, aber auch das alternative Lebensgefühl der Protagonisten bekommt ordentlich "Fett ab". Ironisch und mit viel Wortwitz wird gezeigt, wie große Jungs ihren schwindenden Träumen hinterher jagen, wie Lebensentwürfe verbissen oder aber mit Leichtigkeit verfolgt werden. Wer bei der Lektüre ausreichend Spaß hatte, kann jetzt schon zur Fortsetzung greifen – mit ErdbeerSchorsch ist bereits eine neue Folge der Seidelschen Prosa auf dem Markt.

HimbeerToni

Joachim Seidel, Piper

HimbeerToni

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