Salut, ihr Stümper.
Paris in den 60ern. Das gibt immer wieder Anlass zu nostalgischen Gefühlen. Keine Zeitspanne ist wie die 20er besetzt. Die Spätfolgen des Nachkriegsalltags und der grauen Depression werden allmählich abgelegt. Alles läuft auf die 68er-Unruhen zu, in denen Frankreich sich und der Welt ein Mal mehr beweisen wird, dass es zu zivilem Ungehorsam in der Lage ist. Die Gruppe um Sartre streitet sich mit der Gruppe um Camus um die philosophische Hoheitsgewalt im politischen "savoir vivre".
Mitten drin Michel, gerade mal zwölf Jahre alt. Seine Familie ist, wie soll es auch anders sein, mit sich im Unreinen. Allein schon wegen einer Mutter, die die Hosen an hat, und von der ihr ältester Sohn behauptet, dass sie ihn allein deswegen hasst, weil sie gezwungen gewesen sei, seinetwegen den Vater zu heiraten. Die arme Frau quält zweifellos das Gefühl, ihr Leben verpfuscht zu haben. Ausgerechnet sie, die Gutbürgerliche, gibt dem Sohn eines Arbeiters ihr Jawort. Wäre sie nicht schwanger gewesen, hätte sie eine gute Partie mit einem Mann aus ihrem Milieu machen können.
Mutter und Sohn werden sich wegen seiner politischer Ansichten und Aktivitäten so überwerfen, dass sie über zwanzig Jahre nicht miteinander reden werden. Und da der Vater sich nun mal nicht gegen die Herrschaft seiner Frau auflehnen kann und selber an den Annehmlichkeiten eines besseren Lebens hängt, wird er seinen Ältesten von da an nur noch heimlich treffen.
Es gibt die Marinis und die Delaunays in diesem Roman, der Frankreich zu jener Zeit mit dem sanften Blick eines Marcel Pagnols betrachtet. Die einen fühlen sich eher der Arbeiterschaft zugehörig und werfen dem Sohn vor, dass er nicht mehr wisse, woher er stamme. Die anderen halten die Tradition der Kaufleute hoch, sehen auf die anderen herab und sträuben sich gegen jegliche Veränderung, die nicht dem Zuwachs von Gewinn und Ansehen dient. Guenassia schafft es, den widerstrebenden Strömungen ein familiäres Bild zu verleihen. Man mag sich nicht, aber man ist aufeinander angewiesen. Und manchmal verliebt man sich ineinander und muss die Folgen ein Leben lang tragen.
Was liegt da näher, als aus dem familiären Mief auszubrechen. Ab in die Welt des Baltos, der Boulevards, die Ohren voll Rock n’ Roll und das Herz dem Existentialismus zugeneigt. Also wird Michel ein Meister am Kicker werden. Er stößt zufällig auf die Welt im Hinterzimmer des Baltos und trifft dort tatsächlich auf die leibhaftigen Jean-Paul Sartre und Joseph Kessel.
Der 1950 in Algier geborene Jean-Michel Guenassia zeigt ein Frankreich im Spätsommer seines imperialistischen Anspruchs. Es hadert mit sich selbst. In guter, alter George-Bush-Manier wird erst mal ein Krieg mit Algerien vom Zaun gebrochen, der natürlich in Kürze siegreich zu Ende gebracht werden soll. Glauben alle. Oder fast alle. Während gleichzeitig in der Tradition der französischen Revolution die Hölzer der sozialistischen Umwälzung schwellen.
In diesem ganzen Towhabohou findet Michel für sich einen Zufluchtsort. Es sind die Bücher, die er regalweise in der Bibliothek ausleiht, mit denen er in der Lage ist, jede Strafe aufzufangen, die ihm die Mutter gerade mal wieder auferlegt, weil er sich herumtreibt. Als er die hohe Kunst des Schachspiels entdeckt und am Boulevard Raispail in sie eingeführt wird, befindet sich Michel längst auf dem Weg zum Erwachsenen. Zum zukünftigen Intellektuellen, zum Literaten, womöglich kann ein Bohemien aus ihm werden. Ein vollwertiges Mitglied im Club der Optimisten ist er trotz seiner jungen Jahre bereits. Und die nehmen nicht jeden in ihren Reihen auf.
Michel beobachtet, wie Jean-Paul Sartre auf Albert Camus tragischen Unfall reagiert. Sartre ist selbstgerecht und doch zutiefst erschüttert, notiert auf einem Zettel erste Zeilen, die Camus einerseits würdigen, anderseits Sartres Zerwürfnis mit ihm rechtfertigen sollen. Eine grandiose Szene, die zeigt, dass selbst die größten Philosophen kleine Menschen sind.
Die Welt der Erwachsenen ist kompliziert. Da liebt Michels Bruder ein Mädchen und verpflichtet sich nach Algerien zum Militärdienst, ohne ihr etwas davon zu erzählen. Er will etwas tun und treibt sie dadurch fast in den Selbstmord. Michel rettet ihr das Leben, ist das Irrlicht zwischen den Schicksalen der Emigranten, die aus der Heimat vertrieben am liebsten von der Heimat erzählen. Nebenher erfahren wir so, dass Andrej Gromyko der legendäre Außenminister der UDSSR seine Aufenthalte in Paris am liebsten dazu nutzte, um eine gewisse Martine zu treffen.
Neben all diesen Heimatsuchenden erscheinen die Franzosen in Guenassias Roman "Der Club der unverbesserlichen Optimisten" selbst wie gebürtige Heimatlose. Wenn dann ein Deutscher seiner Erinnerungen beraubt aus dem Krankenhaus geworfen wird, weil er halt ein Deutscher ist – was so kurz nach dem Krieg nun mal gar nicht geht, selbst wenn er der Resistance zugearbeitet hat - spüren wir Leser, wie sehr dieses Frankreich in den 60ern tief mit sich ringt. In diesem stellenweise amüsanten Roman bleibt ihnen nur eins: Sie müssen sich entscheiden. An der eigenen Tragik zu verzweifeln oder einen Witz darüber zu reißen. Diejenigen, die sich selbst nicht allzu ernst nehmen, gehören zweifellos ohne jegliches Aufnahmeritual zum "Club der unverbesserlichen Optimisten".
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